Der dicke Wurm

Bei Jenesien, eine Viertelstunde unterhalb der Kirche, liegt die Haselwiese; sie gehört dem Schmidtbauer, und auf derselben gab es vorzeiten wilde, große Würmer. Auch der weiße Haselwurm hielt sich dort auf, der war so dick wie ein gefälschtes Kind (Wickelkind) und so lang wie eine Heuschloaf oder Wiesbaum, will sagen zwei Klafter lang. Ein Maurer, der zugleich Jäger war, trieb vor Jahren ein Paar Ochsen auf dem Wege längs der Haselwiese hin, da standen auf einmal die Ochsen still, zitterten vor Angst und waren nicht weiterzubringen. Der Mann schaut nach der Ursache um, da liegt etwas vor ihm im Wege, wie ein Krummholzast, das beginnt sich aber zu bewegen und ist eine Schlange von erwähnter Dicke und Länge. Zum Glück kam es nicht auf den Mann und die Ochsen zu, sondern verzog sich in ein Steinloch; wie jener aber nun, froh, daß der Weg frei sei, am Loche vorübertrieb, da streckte der Wurm seinen schauderhaften Kopf noch armlang aus dem Loche, daß dem Mann alle Haare zu Berge stiegen. Überhaupt ist noch heute der Glaube an das Vorhandensein riesenhafter Schlangen bei Meran und in der ganzen Talstrecke bis Bozen außerordentlich lebendig, und dies erklärt auch die alten Heldengedichte und die in ihnen vorkommenden Kämpfe mit diesen Gelieren, deren Schauplatz zum Teil jene Gegenden sind.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 285.