Der zersprungene Stutzen

Im Langtauferer Tale, das von dem Weißkugel- und Gebatschferner herab in das Etschtal zieht, wohnte ob Pedroß hoch im Gebirge ein braver Mann aus Graun gebürtig. Sein alter Vater, der drunten in Graun sein Leben beschließen wollte, hatte dem Sohn einen Stutzen gegeben, den er einst in den tirolischen Kriegsjahren tapfer gegen den Feind erprobte.

Als der Alte starb, zog sein Sohn vom Berge hernieder nach Graun, mit dem werten Stutzen über der Achsel. Es ist der Brauch im Lande, wenn ein Veteran stirbt, daß ihn die Schützen der Gegend zu Grabe geleiten und dreimal Salven geben.

Also wurde auch dem uralten Landesverteidiger dreimal "ins Grab geschossen". Sein Sohn, der sich der Schützenkompanie angeschlossen hatte, schoß also auch mit, aber beim dritten Male Losfeuern zersprang der Stutzen, ohne ihn oder einen ändern Schützen zu beschädigen. Dieses "Schützenwunder" erzählen sich die Schützen noch jetzt gerne im Heimgart, und des Alten Grab ist um so merkwürdiger geworden, auch wird gewöhnlich beigesetzt: "... und der Stutzen wollte nach dem Tode seines treuen Schützenfreundes keinem ändern mehr dienen."

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 231.