Der betrogene Melker

Vor vielen Jahren ist der Melker von der Hochlizumer Alpe auf den Hilpolt gestiegen, um verlorene Schafe zu suchen. Und wie er so herumschaut, sieht er mit Staunen das Schatzloch offen. Er guckt und guckt, sieht, daß das Geislermandl, der Schatzhüter, nicht drinnen ist; daher geht er geschwind hinein, füllt sich die Taschen mit Gold und Geld, das in ungeheurer Menge da aufgehäuft liegt, bindet von der Joppe noch beide Hemdärmel an einer Seite zu, füllt auch noch diese mit Gold und eilt dann flugs davon in die Almhütte zurück, wo er die Schätze ungesehen hinterm Milchkasten versteckt, der hinter der Türe war. Dann nimmt er den Milchsechter (Milchschaff) auf, lauft damit wie besessen vom Geldteufel nochmals ins Schatzloch und füllt auch diesen mit den Metallschätzen; allein. - "Hui, Bua, d' Hand von der Butt'n", hieß es, denn justament, wie der Hochlizumer Melker mit dem Sechter voll Gold hinausgehen will, steht das Mandl fuchsteufelswild vor ihm und brummt mit harter Stimme: "Gleich ausleeren den Sechter, gleich alles zurückbringen, was hinter der Tür im Milchkasten versteckt ist, sonst gleich zerrissen werden zu - - -", doch der Melker ließ den Greisler gar nicht ausreden, er hatte schon alles Gold ausgeschüttet, lief, was er konnte, zur Alm und brachte binnen einer halben Stunde alles Gold und Geld zurück. Daß er wohl stark gelaufen sein muß, kann man sich denken, denn sonst braucht man wenigsten seine guten Fünfviertelstunden von Hochlizum bis zum Schatzloche, wenn es offen ist, was aber selten vorkommt. Ist auch ein besonderes Glück für den Melker gewesen, daß er den geraubten Schatz nicht angesehen oder etwas davon benützt oder ihn gezählt hat, dann hätte er zuletzt auch ein Schatzhüter werden müssen.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 77