DER KUKUKSSCHREI

Es ist noch gar nicht lange her, daß der aus Amras gebürtige "lange Luis", welcher Almhirt auf der Fatscheralm war, sich im nahen Grinzens in die Dirne eines Einödhofes verschaute. Er war sonst ein guter Bub, der, nachdem er unter Tags die Schafe gehütet, manchmal des Nachts zur erwähnten Dirn ins Fensterln ging, welche man die "Fuchsete" oder's "Glockenfüchsl" hieß, weil sie röthliche Haare hatte. Einmal geschah es, daß, als der lange Luis just am Fenster der Dirn stand, in der Nähe plötzlich der Kukuk einmal schrie, worauf das Mädchen am Fenster allsogleich zum Luis sagte: Luis geh fort, du weißt ja ohnehin das Sprüchl, wenn der Kukuk schreit, ist der Böse nit weit. Allein der Luis, ein langer baumfester Bub, fürchtete sich vor nichts, ja vor gar nichts bei Tag und Nacht, daher blieb er. Da schrie der Kukuk zum zweiten Male, und das Mädchen bat den langen Luis um so eindringlicher zu gehen, und ihm selbst kam es nun sonderbar vor mit dem Kukuksschrei, und wollte sich schier zum Heimweg anschicken. Da schrie der Kukuk zum dritten Male, um viel näher - ganz nahe. Die Dirn schlug rasch ihr Fensterl zu, dem Buben war der Muth gebrichen, es wankten ihm die Knie vor Schrecken und er lief so eilend, was er konnte, der Alpe zu, wo er ermattet und verstört ankam, und seitdem krank war, abzehrte und nach drei Monden im schönsten Mannesalter starb.


Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 131, Seite 134