Erschaffung der Wiesel

Bekanntlich wird nach dem Volksglauben auf den Alpen nicht selten das Vieh von Schlangen gebissen. So geschah es auch auf der Alpe Taghaus im Tauferer Tale. Es kam nun auch auf diese Alpe ein fahlender Schüler, mit dem sich alles so zutrug, wie die häufig sich wiederholende Sage insgemein berichtet. Er fragte die Älpler, ob sie jemals auch einen weißen Wurm gesehen hätten, und sie beteuerten heilig, daß solches noch nie der Fall gewesen wäre, weil sie wußten, daß, wenn sie dem fahlenden Schüler sagten, sie hätten den weißen Wurm gesehen, wie allerdings geschehen war, jener seine für ihn höchst lebensgefährliche Kunst nicht geübt haben würde. Der Zauberer zog einen Kreis, entzündete sein Feuer, las seine Beschwörung, und es kamen und kamen die Beißwürmer zahllos daher, stürzten in das Feuer und verbrannten. Da plötzlich schoß die gefürchtete weiße Schlange daher, und der Zauberer schrie: "Wehe! der weiße Wurm! Fluch euch! Ihr habt mich betrogen! Fluch und Rache", und er stürzte sich selbst in das Feuer und riß die weiße Schlange, die ihn schon umringelt hatte, mit hinein, und alles verbrannte. Aber der fahlende Schüler blieb nicht ungerächt, denn statt der Beißwürmer und weißen Schlangen erschien plötzlich auf den Almen jener Gegend das Brisele (Wieselchen), sprang die jungen Kälber an, biß sie und das Rindvieh am Hinterleib und an dem Hinterbeine, worauf das Vieh nach kurzer Zeit starb, und säugte den Kühen die Euter aus. Von dem gebissenen Vieh ist nicht einmal das Fleisch zu genießen. So glauben die Älpler überm Tauferer Tal auf der Alpe Taghaus und erzählen von den Briselen gar abenteuerliche Dinge. Einmal ging ein Hirte verlaufene Kälber suchen, da sah er ein Brisele auf einem Steine sitzen. Er warf einen Stein nach ihm, da tat es einen gewaltigen hohen Aufsprung, und dann fuhr es in den Erdboden hinein - weg war's. Wenn nun auch die Furcht vor dem Wieselchen auf den Alpen etwas übertrieben ist, so ist sie doch nicht ganz ohne, denn als ein schädliches Tier säuft es die Eier aus, vertilgt junge nützliche Vögel und beißt die Kühe in die Euter, so daß Geschwülste entstehen.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 347.