Frau Guta
Als die Hauptstadt Vorarlbergs, Bregenz, noch unter dem berühmten Geschlechte der Grafen von Montfort blühte, geschah es, daß die Appenzeller sie mit einem feindlichen Überfall bedrohten; doch wurde derselbe auf eine merkwürdige Weise sehr zum Schaden der Appenzeller vereitelt.
Ein armes Weiblein, Guta geheißen, nährte sich im obern Rheingau auf und ab mit Spinnen in den Häusern, und so saß es an einem Feierabend zu Appenzell in einer Schenke, in der es gesponnen, still hinter dem Ofen, als viele Appenzeller Männer eintraten und miteinander den Überfall der Stadt Bregenz berieten.
Keiner achtete der alten, armen, müden Spinnerin, sie aber behielt jedes Wort, und kaum war die Schenkstube endlich wieder leer, so war auch Frau Guta auf und davon; sie ließ ihren Lohn im Stich, lief die Nacht und den Tag von Appenzell nach Gais und nach Altstätten und nach Au und flehte dort den Fährmann an, sie über den Rhein hinüber nach Brück zu fahren, der das auch tat, und nun eilte sie von Angst beflügelt nach Bregenz und verkündete das drohende Unheil. Ein Graf Montfort war in der Stadt; man schlug Lärm, läutete Sturm, und bald war die beste Vorbereitung getroffen; und als in der nächsten Nacht der Feind anrückte, kamen seiner zwar viele, aber sehr wenige kehrten wieder heim, und auch diese mit blutigen Köpfen. Es ging da recht den Appenzellern bei diesem Tanze, wie es später im Pavier-Liede lautete:
Der Pfeffer ward versalzen,
Man richt't ihn mit langen Spießen an,
Mit Hellebarden geschmalzen.
In der alten Seekapelle ruhen die Gebeine der treuen Guta, die von den
Bürgern der Stadt Bregenz wohl gut versorgt wurde, und zur dankbaren
Erinnerung ward beschlossen, daß Jahr um Jahr jede Nacht von Martini
bis Lichtmeß der Nachtwächter seinem Stundenrufe hinzufügen
solle: "Ehre Guta!" Solches geschieht bis heute. Nach hundert
Jahren werden moderne Sagenforscher sicherlich herausgeforscht haben,
daß diese Geschichtssage eine rein mythische sei. Guta sei nichts
als die Gote, Gode, welche wieder keine andere sei als Hulda, die Spinnerin,
die Wintergöttin, und der Ehrenruf in der Winterhälfte des Jahres
nichts weiter als Nachhall altheidnischen Kultes oder als eine Anrufung
der "guten Frau".
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 223.