Frau und Kinder im Berge

Zwei Hirten nahmen einst auf Guffbreit, einer Anhöhe der Latzfonser Alpe, ihr Mittagessen ein, welches aus frisch gemolkener Milch von drei Ziegen und Brot bestand. Während sie gemütlich speisten, vernahmen sie mit einem Male Stimmen vieler Kinder gar wunderlicher Art, so daß sie dies Getöne fast für den Gesang saliger Fräulein hielten; allein sie sahen nichts weit umher, und die Stimmen konnten auch von keinem bewohnten Orte auf diese Alpenhöhen heraufgedrungen sein, die viele Stunden von Menschenwohnungen entfernt lagen. Die zwei Hirtenknaben standen daher auf und näherten sich dem Orte, von dem die Stimmen kamen, und da hörten sie dieselben in der Tiefe des Berges durch einen Spalt, aber nicht mehr die von Kindern, sondern die einer Frau, welche also sagte: "Wartet nur, bis die Hirten fort sind, dann wollen wir heimlich hingehen und die Brosamen mitsammen essen." Daraufhin eilten die Hirten auf ihren Platz zurück, verzehrten geschwind ihr Mittagessen, melkten alsogleich drei Ziegen, gaben Brot in die Milch, ließen alles stehen, damit die Kinderlein zu essen fänden, und entfernten sich.

Wie sie später zurückkamen, fanden die Hirten alles aufgezehrt, und wie sie die hölzerne Schüssel, worin zu essen gewesen war, betrachteten, da erschraken sie fast ob dem, was sie sahen: die Schüssel war voll der schönsten Goldstücke. Dieses Ereignis erzählten sie zwei ändern Hirten, welche das gleiche versuchen wollten. Das waren aber zwei eigennützige und habsüchtige Buben, auch wild und nicht fromm und brav wie jene beiden Hirtenknaben. Diese zwei habsüchtigen Hirten begaben sich auf den gleichen Platz bei Guffbreit, verzehrten ihr Mittagessen, ließen eine Schüssel voll Milch und Brot stehen und entfernten sich. Nachdem sie wieder zurückgekommen waren, fanden sie die Schüssel leer, aber statt glänzenden Goldes war sie mit Ziegenpöbelen (Ziegenlorbeer) angefüllt.

Die Sage deutet aber offenbar einesteils nach der Perchtl mit ihrem Kinderheere hin, andernteils nach jener Sage vom Vöraner Fangg, der die Gesinnung eines Hirten erprobte.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 377.