Die Gitterhexe

Im Wirtshause zu Karres, nahe beim Brennbichl, kehrte ein kräftiger, junger Handwerksbursche ein und bat um Nachtherberge. Zufällig waren in der Wirtsstube mehrere betrunkene Zecher, von denen einer zum Handwerksburschen sagte: "Du bist ein armer Häuter, das sehe ich dir übers G'wandl an; schau, wenn d' m'r stantepede zur Gitterhex hinausgehst, so zahl' ich dir ein Nachtessen und zu saufen genüagla noch dazu - aber nach dem Gebetläuten mußt m 'r gehn - aft gilt's", setzte er bei. Der hungrige Handwerksbursch schlug ein, denn der fürchtete keinen Teufel, weniger eine Hexe, an die glaubte er nicht einmal. Einstweilen trank er mit den betrunkenen Gästen, und als es Ave Maria läutete, machte er sich bereit zu gehen, um so mehr, als der Mond die Gegend hell beleuchtete, so daß ihm der Wirt von ferne den Steig zeigen konnte, auf welchem die Gitterhexe ihr Unwesen trieb. Den Wirt erbarmte der junge Kerl, und er sagte ihm draußen, er solle es nicht wagen, denn die Gitterhexe sei ein Gespenst, welches schon manches junge Leben geraubt habe. Sie halte sich nachts bei einem Zaungitter auf, das nahe beim Dorfe an dem Fußsteig stehe, der von Karres nach Roppen führt. "Und", setzte der Wirt bei, "wenn jemand vorbeigeht, der sich nicht mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes bezeichnet hat oder nicht abgewaschen ist, dem geht's wie schon gesagt ans Leben, wenigstens wird er furchtbar zerkratzt, denn die Gitterhexe hat an den Händen Katzenpfoten mit langen Geierkrallen, welche giftig sein müssen, weil die Wunden niemals heilen, sondern so lang eitern, bis der Mensch hin wird."

Doch der mutige Handwerksbursche, ein muskelstarker Schmied von Profession, lachte dem Wirt ins Gesicht, befahl vielmehr, ein gutes Nachtessen kochen zu lassen, und ging lustig dem Gitter zu, seinen harten, mächtigen Knotenstock in der Luft radschlagen lassend. Als er zum Gitter kam, erhob sich gegen ihn her ein ungeheuer großer, kohlrabenschwarzer Hund, und der bäumte sich auf, und alsbald ward aus dem kohlrabenschwarzen Hund eine kohlrabenschwarze Menschengestalt daraus - die Gitterhexe, aber sie hatte keinen Kopf auf, doch die Krallenhände waren desto rühriger, sich über den Handwerksburschen herzumachen. Es war ein furchtbares Raufen, doch der Schmied schlug sie endlich mit der Wucht des Knüttels zu Boden, und sie war - verschwunden.

Der Sieger kehrte dann zurück und bekam seinen Lohn, weil man von ferne sich von allem überzeugt hatte.

Am ändern Tag sah man beim Gitter den Boden voll Blut, und in dem Gitter lag eine Bäuerin des Dorfes totgeschlagen - sie war die verruchte Gitterhexe gewesen: daher ließ sie sich ohne Kopf sehen, damit man sie nicht erkennen konnte, so philosophierten die Dorfweiber. Und der mutige Schmiedgeselle hat sein Lebtag ein Klamperl anhängen gehabt, denn sein zerkratztes Gesicht bekam böse Geschwüre, die ihm nach und nach die besten Säfte aus dem Leib zogen, so daß er frühzeitig einrücken mußte.

Gott g'hab' ihn selig!

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 177