Das Hexenhaus

Zu Jenesien lebte ein alter Bauer, der noch in seinen hohen Jahren sich vollen Haarwuchses erfreute, nur vorn an der Stirne hatte er eine handbreite runde Glatze, wie geschoren, was sehr auffiel, denn rundherum stand wuchernd starkes Haar. Besagter Bauer ging einmal auf den Markt nach Meran, kaufte sich dort eine Kuh und trieb sie den Weg über Voran nach Mölten hinauf; er wollte über den Salter nach dem Heimatort. Aber als er bei Mölten vorbei war, begann es schon etwas zu dunkeln, und als er unter dem Patoijer heraufkam, einem Bauernhause an der nördlichen Abdachung des Salter, war es bereits stockfinster. Der Wanderer mit der Kuh erbat sich zwar auf diesem Hofe Licht, das in der Papierlaterne düster genug brannte und nur zeigte, wie finster es ringsum war. Noch eine Strecke, und es kam ein Wald, und in dem Walde begann die Kuh plötzlich "abich" zu tun, d. h. sie wollte nicht mehr weiter, zitterte, ging rückwärts, riß am Stricke, empfing Schläge, mußte Flüche anhören, und endlich riß sie sich dennoch los und rannte fort, der Bauer ihr nach; da stand in einiger Entfernung ein feuriger Mann, der über und über glühte. Jetzt fiel von einem Lärchenbaum ein Tropfen herab und gerade in die Laterne, und das Licht erlosch. Gleichwohl sah der Bauer noch die Kuh, die auf das Feuer zulief, das aber nur ein fauler Holzstock war. Endlich ließ die Kuh sich wieder fangen, der Wald war durchschritten, und die "Ringlwiesen" waren erreicht, auf denen das nun an die Nacht gewöhnte Auge ein Haus entdeckte, das erst kürzlich erbaut sein mußte, denn früher stand keines da. Das Haus mußte noch dazu ein Wirtshaus sein, denn es war hell erleuchtet, und Tanzmusik schallte heraus. Der Bauer schritt heran, band die Kuh an ein Gatter und ging ins Haus. Viele geputzte Paare drehten sich dort im Tanze, eine Kellnerin kam auf ihn zu und fragte, was er schaffe. Der Bauer bestellte einen Seidel Wein, setzte sich, trank und schaute sich ein wenig um. Mit einem Male sah er in der Türe, durch die er eingetreten war, einen großen Bock mit feurigen Augen, der unbeweglich stand und ihn anstarrte. Da kamen dem Bauern allerlei ängstliche Gedanken, und er simulierte, wie er wohl wieder aus dem Hause kommen möchte; der Wein wollte ihm gar nicht mehr munden, doch schickte er sich zur Zahlung an; statt aber das Geld zu nehmen, forderte ihn die Kellnerin mit zärtlich zudringlichen Blicken auf, mit ihr ein Tänzchen zu machen. Er schlug dies rund ab, und sie schlug ein Gelächter auf und sagte: "Du Talk!", und dabei drückte sie ihm einen Augenblick die Fläche ihrer linken Hand auf die Stirne. Und dabei wußte er nicht, wie ihm geschehen war, er war plötzlich außer dem Hause und bei seiner noch angebundenen Kuh, die er losband und nachzerrte. Auf der ersten Anhöhe stand er verschnaufend still und schaute zurück nach dem Hause; da sah er den Bock in Riesengröße außen stehen und dessen Augen wie Feuerräder leuchten, und es zischte und knallte wie Raketen aus dem Hause, halb versank es, halb flog es in die Luft, wie Rauch.

Halb tot vor Angst, an allen Gliedern abgeschlagen, erreichte der Bauer sein Haus, und als er am ändern Morgen in den Spiegel sah, fand er die nagelneue Glatze so weit die Hexenhand seine Stirne berührte, und nie wuchs wieder ein Härlein darauf.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 283.