Hexenritt und Hufeisen

Zu Gries im Paznauntale lebten zwei junge Burschen, Brüder, miteinander sehr einträchtig, ihr Vater war tot, ihre Stiefmutter lebte noch. Der eine war stattlich wohlgenährt, der andere aber magerte zusehends ab. Eines Tages, als der Bruder den letztern besorglich fragte, ob er sich denn krank fühle, weil er so gar schmächtig aussah, seufzte der Magere und begann dem Bruder sein Leid zu klagen.

"Jede Nacht und jede Nacht", sagte er, "kommt unsere Stiefmutter, wirft mir einen Sattel auf den Rücken, und da werde ich gleich ein Pferd. Dann besteigt sie mich als böse Trud, reitet auf mir durch Nacht und Wind, Graus und Nebel, in einen wilden Wald, dort bindet sie mich an einen Baumstamm und begibt sich dann unter einen ändern in der Nähe, wo sie mit einer großen Hexenschar tanzt, schmaust und buhlt. Sind das Gelage und die Raserei zu Ende, so besteigt sie mich wieder, reitet auf mir nach Hause, nimmt mir den Sattel ab, und ich werde dann wieder Mensch. Daß solcher Hexenritt nicht fett und wohlbeleibt macht, kannst du dir an den Fingern abzählen."

Nachdem der eine Bruder diese seine Erzählung geendet hatte, sprach der andere: "Weißt du was? Laß mich heute an deiner Stelle liegen. Ich will das Ding doch auch einmal probieren, vielleicht kann ich dir davon helfen." Gern willigte der geplagte Bruder ein, ließ den ändern vorn im Bette liegen, und dem geschah nun alles wie jenem, und es war ihm durchaus nicht wohl bei der Sache. Am Baume angebunden aber rieb und rieb er so lange am Stamme, bis der Sattelgurt platzte und der Sattel abfiel, da wurde er gleich Mensch und war nicht mehr Pferd. Er versteckte sich und sah dem Hexentreiben ferner zu, bis die Zeit kam, daß es zu Ende ging, da fuhren alle Hexen davon, nur seine Stiefmutter nicht, weil sie ihr Pferd nicht fand. Wie sie sich noch nach diesem ängstlich umsah, stülpte ihr der Stiefsohn hinterwärts den Sattel auf den Nacken, und da wurde sie alsbald zur Stute, und er saß auf und ritt auf ihr heimwärts.

Am Wege stand eine Schmiede, vor dieser hielt der Reiter sein Roß an, rief den Schmied und gebot ihm, sein Roß mit neuen Hufeisen zu beschlagen. Dies geschah, und nun ging der Ritt rasch nach Hause. Der Stiefsohn führte das Pferd in die Schlafkammer der Stiefmutter, nahm ihm dort den Sattel ab, ging, verschloß die Kammer und kroch zu seinem Bruder ins Bett, dem er noch vor dem Einschlafen alles erzählte. Am ändern Morgen erschien die Stiefmutter nicht in gewohnter Weise beim Frühstück - die Brüder gingen nach ihrer Kammer, da lag sie blutig und tot auf dem Bette und hatte an Händen und Fußsohlen nagelneue Hufeisen, die noch heiß waren und wie die Hölle brannten.

Verwandte Sagen von solchen Hexen und Teufelshufeisen finden sich allenthalben in Deutschland bis zum Norden hinauf, besonders aber in Bayern, Salzburg und Tirol.

Auch sonst finden sich nicht selten Leute, die der Teufel reitet, doch sind sie nicht allemal Rösser, sondern häufig nur Kamele.


Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 202.