Der Kalbsfuß

Über dem Dorfe Brixlegg steht auf einer Felsenhöhle das Mariahilfkirchlein "Mariahilf im Grünwald" mit einer stillen Einsiedelei. Von da aus wird auf einem südlich ziehenden Pfad die "Hochkapelle" erreicht, welche, wie die Sage geht, an der Stelle einer ehemaligen Burg (Mehrenstein) aus dem grauesten Altertume erbaut worden sein soll. Die Ritter dieser Burg waren sehr reich und haben auf der Höhe ihren Schatz vergraben. An Sonnabenden und Sonntagen wollen viele Leute flimmernde Lichtlein dort herumschweben gesehen haben. Einst war ein Einwohner von Brixlegg so sehr herabgekommen, daß bereits sein Eigentum auf den öffentlichen Verkauf stand und er mit seinem Weibe die nächste Aussicht auf den Bettelstab hatte. Voll Trübsinn nahm er einen Strick und ging auf den Berg hinauf, sich aufzuknüpfen. Da kam er in die Trümmerreste der alten Burg, er wußte nicht wie, und stolperte über einen alten Klotz, der ihm im Wege stand. Unwillig darüber, ergriff er den Klotz, um ihn aus dem Wege zu schleudern, siehe, da hatte er einen Kalbsfuß in der Hand. Der Fuß war aber ganz ungewöhnlich schwer, und wie der Finder denselben näher untersuchte, so fand er, daß das Innere des Fußes ein gelbes Metall war - am Ende Gold. Die neue Hoffnung verscheuchte nun in dem Armen die Hängegedanken, und er eilte nach Hause und zeigte seinen Fund. Und es war wirklich Gold! Der glückliche Finder konnte nicht nur davon seine Schulden samt und sonders bezahlen, sondern er behielt noch viel übrig und hat nachmals aus Dankbarkeit gegen Gott die große Glocke zu Brixlegg gießen lassen. Später sind andere heimlich hinauf zur Hochkapelle gegangen, welche dachten: Wo ein goldener Kalbfuß gelegen hat, kann wohl auch ein ganzes goldenes Kalb liegen; das hätten sie gern gehabt, und es wäre ihnen auch nicht darauf angekommen, es zu umtanzen und anzubeten, wie die Juden in der Wüste ein kleines Apis - sie haben aber nichts gefunden. Übrigens erzählen die Anwohner, daß unter der Türschwelle der Hochkapelle eine unterirdische Stiege in die Tiefe unheimlicher Gänge und Gewölbe leite, die aber schon ziemlich verfallen seien.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 45