Das Kind im Korbe

Nahe dem See bei Heid stand die armselige Hütte eines Fischers, der ein Weib und acht Kinder hatte und auf den Tod krank lag. Der Mann trug, da er sein Ende nahe fühlte, ein sehnliches Verlangen nach den heiligen Sterbesakramenten und bat sein Weib, ihm den Pfarrer zu holen, dem er beichten könne. Es war aber gerade der Pfarrer an einen ändern Ort versetzt worden und sein Nachfolger noch nicht eingetroffen. Da wanderte das arme Weib nach dem nahen, berühmten Stift Marienberg, um dort einen Pater zu bitten, ihrem sterbenden Mann geistlichen Beistand zu leisten. Doch es fand gerade um diese Zeit ein hohes Kirchenfest statt, an dem die ganze Klerisei des Stiftes Anteil nehmen mußte. Der Pförtner von Marienberg sah wohl die geistige wie die leibliche Not der Armen, war aber im Herzen tückisch, stumpf und roh, und um die fortwährend Bittende nur loszuwerden, sagte er ihr, er wolle ihr eine Hostie mitgeben, die möge sie ihrem Manne als Wegzehrung immerhin reichen. Da aber der Pförtner natürlich nicht zu den geweihten heiligen Hostien gelangen konnte, so gab er der Armen eine ungeweihte, was von seiner Seite ein gottloser Frevel mit dem Allerheiligsten war; doch schenkte er ihr auch noch etwas Brot für ihre hungernden Kinder und legte alles zusammen - Hostie und Brot - in den Tragkorb der Frau. Glücklich und in gläubiger Hoffnung verließ diese Marienberg und trug erleichterten Herzens die leichte Last in ihrem Korbe den Berg hinab und dann das Tal aufwärts, der jungen Etsch entgegen. Indes wurde ihr Korb merklich schwer und immer schwerer, und sie wußte sich das gar nicht zu erklären. Mühsam keuchte sie und schleppte sich endlich bis zu ihrer Hütte, da eilten ihr die Kinder jubelnd entgegen und riefen ihr die frohe Botschaft zu, der Vater sei wieder gesund und schon aufgestanden. Das dünkte dem armen Weibe schier unmöglich und ein Wunder, aber es war so, der Mann empfing sie heiter und erzählte ihr, wie ihm in einem Traumgesicht ein junges Knäblein in priesterlicher Kleidung erschienen sei, das habe ihm Beichte gehört, ihn von den Sünden losgesprochen und ihm die heilige Hostie gereicht, dann sei es verschwunden in hellem Glänze. Gleich darauf sei er völlig wach geworden, habe keinerlei Krankheitsgefühl mehr empfunden und fühle sich nun vollkommen wohl und habe auch Hunger. Schnell eilte nun die Frau zum Korbe, das Brot vom Pförtner herauszutun, siehe, da schrie sie erschrocken auf, denn im Korbe sitzt ein Kind, ein wunderschönes Kind, das sie gar lieblich anschaut. Alles erfaßt Staunen und Verwunderung, und die Frau denkt nicht anders, als das Kind habe ihr der Pförtner heimlich in den Korb getan, vielleicht als sie zu Marienberg betend auf den Knien lag. Das Brot war auch in dem Korbe, aber verschwunden war die Hostie, die der Pförtner ebenfalls hineingelegt, auf rätselhafte Weise. Treulich nahmen die armen Leute sich des fremden Kindleins an, pflegten es und hielten es den ihrigen gleich, die es auch alle liebgewannen, denn es war gar still und fromm, und mit ihm kehrte Glück und Segen in das Haus der Armut ein; alles, was die Leute begannen, gedieh. Bald konnten sie das Häuslein ausbessern, bald gar ein neues, größeres Haus bauen, und alle blühten in Gesundheitsfülle, Eltern und Kinder. Das dauerte so einige Jahre lang, und auch das fremde Kind wuchs hold empor, gar ein verständiger sittsamer Knabe voll hoher Einsicht und doch wunderbarer Demut. Da führte einmal unversehens auf dem Heimwege zum Kloster Marienberg der Zufall den Pförtner zu den Fischersleuten am Heider See. Herzlich freute er sich ihres gebesserten Zustandes, war aber sehr erstaunt, als sie sich in laute Dankesäußerungen gegen ihn ergossen. Ihm danken sie ihr Glück, er habe ihnen ja das liebe Kind gegeben, mit dem aller Gottessegen bei ihnen eingekehrt sei. "Welches Kind? Ich weiß von keinem Kinde!" sprach der Pförtner, da zeigte die Mutter auf das fremde; dieses aber blickte den Pförtner so ernst, so strenge und strafend an, daß ihm das Herz in der Brust erzitterte, dann sah es sich noch einmal ganz liebreich um in dem Kreise, in dem es bisher geweilt, hob die Hände, segnete und schwand aus der Stube wie ein Lichtstrahl. Der Pförtner schlug die Hände vor sein Angesicht, sank vernichtet auf seine Knie, raffte sich auf, stürzte ohne Abschied aus der Hütte und kam nicht nach Stift Marienberg zurück, und niemand hat je wieder von ihm gesehen oder gehört.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 240.