Der Kuhtrager

Mitten im Stanzer Tal liegt der Ort Petneu [Pettneu], in Büchern und auf Landkarten auch Petnen geschrieben, vom Volke aber Petnui gesprochen (alturkundlich Bodennui), und von dort aus führt ein Fußsteig zur Alpe Reindl empor. Auf dieser Alpe büßt ein Hirte als Putz ob grausamen Frevels, den er gegen eine Kuh verübte. Dieser Hirte war sehr faul und lag lieber im Alpengrase, als daß er das Vieh hütete, daher faßte er einen unbändigen Haß gegen eine Kuh, welche frisch und munter, freilich oft gar zu weit, im Walde herumlief, daß sie der faule Hirte stundenlang suchen mußte. Auch verirrte sie sich oft auf gefährliches Gewände und auf steile Felsen, wo sich dann der Hirte fürchtete und sein Haß nur grimmer wurde. "Wart nur, Beschti!" brummte der Hirt, "mi tratzest g'wiß nit z'lang!" und er legte alsbald frische Baumrinden auf einen Steig, der über turmhohe Felsenwände vorbeiführte und welchen die Kuh gewöhnlich überschritt.

Am zweiten Tage schon trat die Kuh auf die Rinden, von denen die inwendige glatte Seite auswärts gekehrt war, schlüpfte aus und kollerte in die Tiefe, daß alle Knochen zerbrachen. Der Hirte, der in der Nähe war, lachte aus vollem Halse und sagte: "Das möchte ich sehen, wie die Kuh nun wieder heraufgehen wird", und lachte noch mehr. Allein der Hirte lachte gar nicht lange, denn er erkrankte bald darauf und starb im Herbst, nachdem er von der Alpe abfuhr. Einige Tage später, als der Hirte auf dem Friedhofe begraben worden, suchten einige länger in der verlassenen Alpenhütte Unterstand, um günstige Pirschzeit abzuwarten; da hörten sie abwärts der Kaserhütte im Wald bei den hohen Felswänden gar jämmerlich seufzen und schnaufen und meinten daher, daß entweder ein fremder Jäger oder ein Wurzengraber verunglückt sei, dem sie zu Hilfe eilten. Der Mond schien glashell, daher konnten sie an der Stelle, von welcher das Seufzen sich hören ließ, alles genau überblicken, und sie sahen zu ihrer nicht geringen Überraschung den ehemaligen Hirten der Alpe, den man erst eingegraben, so wie er leibte und lebte, mit unsäglicher Mühe und Anstrengung eine Kuh herauftragen, wobei er bitter seufzte und, sobald er die Last oben hatte, selbe wieder hinunterwarf, wobei er in toller Wildheit lachte - wie er im Leben getan. Das Seufzen und Lachen, Hinauftragen ud Hinabwerfen dauerte Jahr für Jahr fort, er war halt zu dieser Strafe verdammt worden.

Nicht weit von der Alpe steht eine Brennhütte, da soll einmal zum alten Brenner, während des Enzianbrennens, dieser Almputz gekommen sein. Der alte Brenner war ein frommer Mann, hatte daher weder Putz noch Teufel zu fürchten und scherte sich auch nicht um beide. Aber weil der Putz gar so traurig vor ihm stand, fragte der Brenner denselben, ob er viel leiden müsse und ob er zu erlösen sei. Da sagte ihm der Geist, daß das, was und wie er leiden müsse, jeder Stein zeige, und bat ihn um einen Stein in die hohle Hand. Der Brenner legte ihm einen Stein in die hohle Hand, und sogleich wurde der Stein glühend, schmolz wie Blei und rann blaurot glühend hinab. "Nun siehst du es selbst, was ich leide", sprach der Putz und setzte noch bei, daß das Leiden nicht so bald zu ändern sei.

Später hat ein alter Mann den Putz gesprochen, und gefragt, wie oft er in vierundzwanzig Stunden - also Tag und Nacht - die Kuh hinauftrage, worauf der Geist ein dumpfes: "Dreimal!" hören ließ, mit dem Beisatz, daß mit jedem Male nur ein Pfennig vom Werte jener Kuh abgebüßt werden könne, und bis nicht der ganze Wert also errungen sei, vermöge keiner ihn zu erlösen.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 193