Der Marchegger bei Stans

Auf den Wiesen bei Stans, zwischen Schwaz und Jenbach, am linken Innufer, wandelte früher zur Nachtzeit ein ruheloser Marchegger ächzend auf und ab, der einen großen, schweren Grenzstein auf seiner Schulter trug und immerfort stöhnend ausrief: "Wo soll ich ihn hintun? Wo soll ich ihn hintun?" Denn er hatte den Stein bei seinen Lebzeiten heimlich ausgegraben und weitergetragen, um ihn zu verrücken, war aber der Last des Steines erlegen und unter der untreuen Tat gestorben. Nun mußte er also büßend wandern und war schon lange so gewandert. Da kam eines Abends ein Mann aus Stans, der war zu Bier und Schnaps gewesen, und hatte seinen Namenstag gefeiert, und zu Ehren desselben vormittags durch Beichte und Buße sein Gewissen gereinigt und nachmittags seinen Kopf ein wenig illuminiert - da begegnete ihm der klagende und fragende Geist, und da rief er in glücklicher Laune: "Z'ritter Kerl, wia mogscht du so loppad frogn? Wo d'n hergnomma hoscht, da lögscht'n wieda hi!"-Darauf verschwand alsbald der Geist - jener aber torkelte weiter und kam an einen Bach und wäre um ein Haar in denselben hineingetorkelt, aber drüben saß eine weiße Gestalt, die rief den Mann an: "Du geah not weita! Do ischt koa Wog, da ischt Wossa. I muaß d'r schon donk'n, weil d' mi host derlest! Geah auffi, dort ischt die Bruck'n!"

So rettete der dankbare Geist dem das Leben, der ihm das erlösende Wort, an das noch keiner gedacht, dem er mit seiner Last erschienen war, zugerufen hatte.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 86