Die Maulrappen

Unweit Kastelruth mündet das Grödental in das Tal der Eisack aus. Im hintersten Teil dieses Tales liegt die Gemeinde Wolkenstein mit den Resten der gleichnamigen Burg inmitten einer schauerlichen Felsenwand und einer Umgebung, die einem öden, unwegsamen Felsenpasse gleicht. Dort geht die Sage, daß zur Nachtzeit im Mondschein oft haarige Köpfe mit bärtigen Fratzengesichtern aus den Ruinenlöchern lungern, welche mit dem Maul allerlei Grimassen schneiden, so daß keiner sich zum zweitenmal hinaufzusehen getraute, der einmal den Spuk gesehen. Auch sprangen manchmal in finstern Nächten feurige Reiter herab ins Tal und wieder zurück, wobei der Wind stürmend und sausend ward und die Reiter in wilder Fahrt mit Jagdlärm vorbeigaloppierten und niemand auswichen. Vor alters hieß man diese Geister "Die Maulrappen". Vor mehreren Jahren zerbrach sich ein Sagenforscher lange den Kopf in superkluger Gelehrtheit, ob Maulrappen nicht ein verdorbenes "Maulaffen" sein dürfte oder ob das Wort nicht aus der Zusammensetzung von den Maulverdrehungen und den auf Rappen sitzenden Geistern (also von den beiden gespenstigen Erscheinungsformen) herrühre. Es war aber nichts mit solcher Tüftelei.

Burg Wolkenstein gehörte einem Geschlechte edler Herrn, welches den Namen "Maulrappen" führte, und nach diesen kamen die von Villanders in den Besitz der Burg, die nun ihren Namen ablegten und sich von Wolkenstein nannten. Der Namensnachhall der ursprünglichen Besitzer blieb nur an den Phantomen einer schauerlichen Mär hängen und haften.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 379.