Schatzträume

Zu Jenbach, einem ansehnlichen Dorfe am linken Ufer des Inns, zwischen Schwaz und Münster, lebte ein Bauer, dessen Haus der "Kachelhof" hieß. Nun träumte einmal dem Kachelhofer, er solle nach München gehen, dort auf die Isarbrücke treten, und dann werde er etwas Neues erfahren. Der Bauer achtete nicht darauf, aber derselbe Traum kommt ihm dreimal hintereinander, und so greift er eines Morgens zum Wanderstabe und macht nach München den weiten Weg. In der Frühe des zweiten Tages kommt er dort an, durchwandert die Vorstadt Au und begrüßt mit Freuden die Isarbrücke, auf der er sich alsbald aufstellt wie ein Wachtposten. In die eigentliche Stadt München geht er gar nicht hinein. Anfangs beachtet ihn niemand, allmählich werden die Obst- und Kastanienhändlerinnen und die Tandlerinnen, welche bei der Brücke feil haben, aufmerksam auf den Tiroler, der immer und immer dort steht, als habe er St. Johann von Nepomuk ein Gelübde getan, und er wird Gegenstand des ärgsten Spottes, was ihn aber nicht im mindesten anficht. Gegen Abend kommt ein Soldat vorbei, der an der bayerischen Grenze im Achentale daheim ist, und spricht: "Grüaß Gott, Landsmann! Auf wen wartscht denn do?" Der Tiroler wird zutraulich und erzählt seinen Traum. Der Soldat lacht: "O du orma Heita!" sagt er. "Wie konntscht denn soviel Zeit verrennen wöge an'n Tram? Träum' san Schäum'! Da hält' ich müaßn ins Tirol ain-chi, übas Ochntol durchan und owi nach Jenbach, denn miar hot tramt, dort ischt a Bauer dahoam, der soll Kachelhofer hoaßn, und der hat unta sein Kuchelherd drei Kössl voll Gold und Süwa. O mei Gott, für mi war a holwa schon gnüagalad."

"Schau, schau", antwortete der Kachelhofer Bauer nachdenklich, "dos ischt wos Nuis! I donk da Komerad. Hoscht Zeit, so geah mit eini, dort siech i grod a Weinhäusl, da woll mea oans zum Bschoad trinkn." Der Kachelhof er gab sich dem Soldaten nicht zu erkennen, aber er schrieb sich dessen Namen auf und hing ihm einen Zopf an. Andern Tags in aller Frühe brach der Kachelhofer auf und eilte, was er konnte, nach Hause - reißt den Herd ein, daß seine Frau vermeinte, er sei übergeschnappt; aber er fand richtig den Schatz und bedachte davon sehr reichlich den Soldaten.

Diese Sagen von Schatzträumen begegnen sehr häufig; immer aber sind Brücken der Ort, an dem die Aufklärung und Erzählung des zweiten, richtigen Traumes erfolgt. Es liegt ein geheimnisvoller Sinn darin, daß der durch solche Träume Begabte erst eine weite Strecke wandern muß, um dann den Schatz im eigenen Hause zu haben.

Von Fremden muß er erfahren, welches Glück und wo es ihm blüht. Es ist dies eine tiefwurzelnde Moral, die im Volksbewußtsein ausblüht. Viele suchen in der Ferne das Glück, das ihnen doch in reicher Fülle am heimischen Herde entgegenblüht, wenn sie nur die Einsicht erlangen, dasselbe zu finden.

Die ganz gleiche Sage ist auch im Zillertal heimisch. Dort hatte ein sehr armer Bauer den Traum von der Zirler Brücke. Als er seinem Weibel den Traum erzählte, lachte es ihn aus und sagte, er solle lieber ins Holz gehen als nach Zirl und nicht so den ganzen Tag verschleudern. Noch einaml träumte der Mann, und noch einmal hielt ihn die Frau ab. Als er zum dritten Male dasselbe geträumt, ließ er sich nicht mehr abhalten, sondern ging nach Zirl, und nun läßt die Sage alles so geschehen, wie bei dem Jenbacher, nur daß kein Soldat auf der Zirler Brücke zu ihm kam, sondern der Ziegenhirte des Dorfes.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 84