Die Schindalm im Stillupp

Im hintern Zillertale ist eine Alpe, welche oft ganz eingeschneit bleibt, so daß sie manchen Sommer gar nicht befahren werden kann. Diese Alpe, im Stillupp gelegen, war einst ein schöner, grüner Kuhhimmel; da haben aber der Senn und die zwei Hirten einen lustigen Feiertag einmal gefeiert, aber leider keinen christlichen, sondern einen heidnischen, weshalb die Strafe nicht lange auf sich warten ließ. Erst haben sie untereinander recht gesoffen und sich mit Speisen übermäßig überladen, und dann wollten sie auch noch eine gute Unterhaltung und kamen von Spiel auf Spiel und am Ende zu einem gar sonderbaren.

Der Senn in seinem heidnischen Übermute hatte den Einfall, einen Götzen zu schnitzen, um mit demselben unzeitige Spaße zu machen, welches auch die zwei Hirten billigten. Sie nahmen den Stamm eines Zirmbaumes (Zirbelbaum), dessen Holz sehr weich ist und sich leicht schneiden läßt, und bald bekam dieser menschliche Gestalt, wenn auch roh und ungestaltig. Hernach brachte der Senn die beste Butter her und strich unter Zoten und wildem Gelächter seinem Götzen den Mund voll. Weil aber der Götze nicht essen wollte, schlug der Senn denselben über den Haufen, und allgemeines Gelächter begleitete diese Possen. Die Holzfratze wurde wieder aufgerichtet und neuerdings Butter in den Mund gestrichen, und als sie wieder nichts aß, schlug sie einer von den Hirten zu Boden. Dem dritten Hirten gefiel dieses Frevelspiel nicht gar so sehr, vielmehr weigerte er sich, daran teilzunehmen; er machte nur den stillen Zuschauer und lachte zuweilen über das mutwillige Treiben der andern.

Wie der Senn und die Hirten noch etliche Male den Kauz herumgeschlagen hatten, fängt er plötzlich an, sein Maul weit aufzusperren, während seine Augen wie Feuer funkeln, und er frißt jetzt alles auf, was da ist, und Senn und Hirten ließen ihr loses Spiel und sprangen entsetzt ins Weite.

Nachdem es Nacht geworden, legen sich die drei Älpler zusammen in die Schlemm (Liegestatt). Aber keiner will am äußersten Ende liegen, bis sich endlich jener Hirte dazu herbeiläßt, welcher nicht mitgefrevelt hatte, und der Senn, welcher den Götzen geschnitzt, blieb zuhinterst. Wie es Mitternacht wird, kommt etwas herein zur Liegestatt - es ist der Götz - und sagt rauh und barsch:

"Den erscht'n find' i",

sieht ihn an, tut ihm aber nichts zuleide, dann brummt der Götz

"Den zweit'n schind' i!"

Kaum ausgesprochen, packt er den Hirten, zieht ihm die Haut vom Leib und nagelt sie an die Wand.

"Den dritten wirf i übers Dach!"

raunt er zum letzten Male, ergreift den Senn und schleift ihn bei der Kasertür hinaus ins Freie und wirft ihn einige Male über das Hüttendach hin und her, als ob er Ball spielen wollte, und der Senn schrie fürchterlich, denn mit dem Hin- und Herwerfen brach Bein um Bein, endlich das Genick, und erst dann, als der Senn zerfetzt am Boden lag, hing ihn der Putz ans Dach hinauf zu Schreck und Warnung anderer. Der Götz ging bald von dannen und sprach zum Hirten: "Sag den Besitzern der Alm, sie sollen dieselbe von jetzt an ‚Schindalm' heißen, sobald sie aber nicht folgen und ihr einen andern Namen geben, komme ich zurück und schind' die Ungehorsamen."

Diese Sage findet ihren treuen Widerhall auf der Schinderalpe im Stubaital sowie auf einer Alpe in der Wilden Gerlos.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 68