Die Totenraufer

Im Sarntale waren vor Jahren zwei Männer, die gerne mitsammen "rafften" (rauften, robbelten); doch da der eine fast immer den Sieg davontrug, so äußerte sich der andere öfters: "Mit dir raff ich's noch nach dem Tode aus!" Bald darauf starb er, und noch war er nicht begraben und der Überlebende auf der Alm zum Bergheumähen, so wurde letzterer zur Nachtzeit aus seiner Ruhe in der Schupfe aufgeschreckt, in der er auf frischem Almheu schlief. Er hörte ganz vernehmlich seinen Namen rufen und ging hinaus, nachzusehen, wer ihn rufe. Da stand vor ihm der Verstorbene, wie er geleibt und gelebt hatte, und forderte ihn zum Raufen heraus. Voll Schrecken sprang jener in die Schupfe zurück und erzählte einem andern Mäher, der ein alter Soldat war, was er gesehen. Dieser sagte, er müsse die Herausforderung annehmen. Er tat es, siegte wieder, und der Verstorbene ging still und stumm davon und der andere in die Schupfe zurück, dem alten Soldaten den Erfolg zu erzählen. Gefragt, ob ihn der Tote hinaufgeschlagen habe, antwortete er ja und erhielt sofort die Weisung: er müsse nun eilends vorauslaufen und auf des Verstorbenen noch offenes Grab zwei Stecken in Form eines Kreuzes hinlegen, dann könne der Tote nicht ins Grab steigen. Er sollte ihn hernach zwingen, daß er ihm das "Moal" (dunkelblauer Flecken vom Schlag) herablecke, sonst müßte er in kurzer Zeit sterben. Weiter sprach der Soldat, welcher mehr verstand als gewöhnliche Leute: "Geh nur schnell vorwärts, du kommst gewiß vor dem Toten beim Friedhof an, denn die Toten können nie schneller gehen, als so, wie der Zug bei dem Begräbnis gegangen ist." Und alles ist auch so gewesen, der Mäher befreite sich auf diese Weise vor schnellem und unvorhergesehenem Tode, dem er verfallen wäre.


Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 290.