Die ungehorsame Witwe

Zu Teiß [Teis] lebte einmal ein Ehepaar recht gut und friedsam miteinander, bis der Mann von einer schnellen Krankheit befallen ward und sein Ende herannahen fühlte. Da rief er seine Frau an sein Sterbebett und sagte zu ihr: "Wenn ich tot bin, so schlafe nie in deiner Kammer allein, es würde dir sonst großen Schaden bringen. Versprich es mir!" Die Frau leistete das Versprechen, aber mit Leichtsinn, denn sie dachte, es sei jenes Verlangen nur eine Grille oder eine Phantasie des fieberkranken Mannes, und als es dahin gekommen war, daß er mit Tod abgegangen, so suchte sie sich keine Schlafkameradin, weil sie dies nicht für nötig hielt und durchaus ohne Furcht war. Sie schlief allein. Auf einmal klopft's an die Kammertür. Jetzt erschrak sie noch mehr, und hätte sie auch gewollt, so hätte sie aus lauter Angst kein Wort hervorgebracht. Nun öffnete sich die Kammertür, drei Männer traten ein, brachten einen Leichnam, stellten ihn vor der Bettstatt nieder und verschwanden. Diese Gesellschaft war der Witwe nicht lieb; sie gab alsbald das Alleinschlafen auf.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 373.