Nochmals eine Verblendung

Ein junger Bauer von der Pertisau am Achensee ging um Mitternacht von der schönen großen Alpe Pletza vom Fensterln heimwärts. Es war zu jener Zeit auf benannter Alm eine gar saubere Sennin, die dem Bauernburschen nur zu wohl gefiel, und die zwei werden mitsammen auch keinen Rosenkranz gebetet haben, sonst wäre ihm nicht ein solcher Hexenspuk passiert, welcher beweist, wie mächtig die Hexen verblenden können. Der Bursch geht also munter und rüstig vorwärts, als mit einem Male sich ein unheimlicher Dämmerschein auf die Berge breitet, während ein Brausen und Wogen so dicht neben und um ihn entsteht, daß er staunend um sich blickt, und auf einmal steht er statt auf grüner Wiese mitten im See bis an den Hals. Und wie er herumguckt, erblickt er zu seinem Erstaunen ringsum an einer langen Tafel eine Menge Hexen sitzen, welche voll Appetit ein Mahl halten. Vor Kälte und Angst erbebend, weiß er sich nicht zu helfen, denn mit jedem Schritt fühlt er eine solche Tiefe, daß das Wasser über ihn zusammenschlagen würde. Daher bleibt er lange unbeweglich stehen, endlich fällt ihm ein, daß er ein geweihtes Skapulier bei sich habe. Er zieht das Skapulier hervor und ruft Maria, die seligste Jungfrau, um Hilfe an, und - verschwunden ist der See, an einem langen glänzenden Streifen zieht sich die ganze Hexensippschaft dahin, während er selbst, bis an den Hals durchnäßt, vor seiner Haustüre steht und nicht weiß, wie er in den See hinein, wie er heraus und wie er vor sein Haus gekommen.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 81