Wer nicht betet, den schreibt der Teufel auf

Es ist ein alter Volksspruch und Glaube in Tirol: "Wer nix bet't, den schreibt der Toifl au!", nämlich wer nicht in der Kirche betet. Freilich darf der Schwarze nicht in die Kirchenbetstühle, sondern er kauert immer in einem Winkel oder sitzt auf einem Pfeiler oder in einem Fenster. Vor mehreren hundert Jahren, als das Pfarrdorf Reit [Reith] ob Brixlegg noch Road oder Ruite hieß, soll sich folgendes dort zugetragen haben:

In der Reiter [Reither] Pfarrkirche war ein feierliches Hochamt und sehr zahlreich besucht; auf einmal kam der Teufel daher mit einer großen Ochsenhaut in der Hand, setzte sich auf das offene Fenster hinauf und schrieb Namen darauf. Und weil der Gottesdienst länger als lange dauerte, so schrieb er so viele Leute auf die Haut, daß sie ihm zu klein wurde und er keine Namen mehr darauf bringen konnte. Nachdem aber noch viel geschwätzt statt gebetet wurde, so begann der Teufel die dehnbare Haut durch Strecken zu vergrößern; er schnitt deshalb ein Loch an dem einen Ende in die Haut, fuhr mit dem Fuß in dasselbe, nahm das andere Ende in die Hände und zog und reckte mit unbändiger Gewalt daran, um für die vielen Unandächtigen und Schwätzer und Schlafenden, deren es während der Predigt nur zu viele gab, genug Raum zu bekommen.

Rechtes Seitenfenster im Chor der Pfarrkirche St. Petrus
Rechtes Seitenfenster im Chor der Pfarrkirche St. Petrus, Reith im Alpbachtal
für diesen Hinweis sei der Mesnerin Frau Elisabeth Gschösser gedankt
© Berit Mrugalska, 6. August 2004

Aber mit dem oftmaligen Strecken riß endlich die Haut - grätsch - entzwei, und der Teufel, der dieses gar nicht vermutete, fiel beim Fenster rückling herab, fing ein jämmerliches Zetergeschrei an und lief davon. Er schämte sich. Diesmal ging's gut ab, denn es bleibt nicht beim Aufschreiben, allein es kommt später noch was Gröberes nach, drum merkt euch's, Kinder: "Wer nix bet't, den schreibt der Toifl au!"

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 46