Das alte Kasermandl

Tiefer Schnee lag über den Almen. Die Rehe, Hirsche und alles andere Wild konnten ihn kaum durchwaten.

In einer Almhütte saß an der Esse auf einem Schanei (Schemel) ein gar altes Kasermandl. Und heute am hl. Abend, sollte es sterben. Nie hatte es einem Menschen Leid zugefügt. Aber - die Zeit, die es auf Erden verbringen durfte, war vorüber. Es mußte in das Jenseits wandern. Das Kasermandl nahm die Muspfann, machte einen Teig und kochte ein Mus, wie es Älpler tun. Es pumperte an die Tür.

"Was ist los - geh herein, wennst d'r dräust", rief das Kasermandl.

Die Tür ging auf; ein junger, kräftiger Bauernbursche trat ein. Sein Blick war betrübt.

"Was mechst (möchtest)", fragte der Käser.

"Ich mecht di fragn", begann der Bauernbursche, "was ich tun soun -"

"Ach so", unterbrach ihn das Kasermandl, "du mechst a Wunderkraut."

"Für mein Muatta!"

Das Kasermandl ging in die Stube und brachte ein kleines Päckchen Wunderkraut.

"Du mußt mir dafür versprechen, daß du in sieben Jahren wieder da her kommst und den Namen ,Runger' nachsagen kannst."

Der Bursche versprach es heilig, nahm das Kraut und eilte nach Hause, um seiner Mutter zu helfen.

Nun durfte der Käser noch weitere sieben Jahre auf dieser Welt bleiben. Wie war er froh!

Die Krauter halfen der Mutter des Bauernburschen. Leider dachte er nicht mehr daran, sich den Namen des Käsers zu merken.

Das sechste Jahr war um. Am Thomastag, während der Arbeit, fiel dem Bauernburschen sein Versprechen, das er dem Kasermandl gegeben hatte, ein: Nun war guter Rat teuer. Wo konnte er den Namen des Käsers erfragen? Er frug bei den Nachbarn, ob sie ihn wüßten. Nirgends erhielt er eine befriedigende Antwort.

Schweren Herzens ging er am hl. Abend zur Alphütte. Als er dort ankam, hörte er, wie das Kasermandl sagte: "l bin von Rung, i bin von Rung, darum bin i so alt." "Runger" heißt er, dachte sich der Bursche. Er klopfte an die Tür. Auf "Herein" ging er hinein.

"Runger", triumphierte der Bauernbursche.

"Du hast dir den Namen gemerkt", lobte ihn der Käser.

Das Kasermandl nahm die Muspfanne und begann ein "Miasl" zu kochen. Der Bursche wartete; er aß mit dem Käser. Doch das Mus schmeckte ihm nicht besonders vorzüglich; es hatte einen eigenartigen Geschmack.

"Warum ißt denn so wenig", pfauchte ihn das Kasermandl an.

"l hab koan Hunger", antwortete der Bauernbursche.

"Dann gehst hoam!"

Der Bursche war froh, daß er heimgehen durfte. Er vergaß es ganz, dem Käser für die Wunderkräuter zu danken.

In der hl. Nacht verließ das Kasermandl die Almhütte. Wohin es wanderte, wußte niemand.

Der Bauernbursche, der von ihm die Wunderkräuter hatte, blieb sein Leben lang ein gesunder und glücklicher Mann. Als sein Vater starb und er Bauer wurde, kam in einer Nacht der Käser in seine Kammer und gab ihm einen kleinen Stein, welcher allerlei Kräfte besaß.

Quelle: Anton Schipflinger in: Sonntagsblatt Unterland, 1937, Nr. 2, S. 7.
aus: Sagen, Bräuche und Geschichten aus dem Brixental und seiner näheren Umgebung, gesammelt und niedergeschrieben vom Penningberger Volksliteraten Anton Schipflinger, zusammengestellt von Franz Traxler, Innsbruck 1995 (Schlern-Schriften Band 299).