Die wilden Löda

Meine Mutter erzählte oft von den Schätze hamsternden Nachkommen der Riesen, die in der Sage und in den Erzählungen der Bauern als "wilde Löda" benannt werden.

Alte Älpler berichteten mit mancher Sage von diesen Männern. Den Sagen voraus schicke ich die Ansicht über die Besiedlung und Urbarmachung des Brixentales, wie sie sich die alten Leute, eben auf Grund der Sagen von den Riesen und wilden Männern, vorstellen.

Riesen lebten im Brixental vor vielen Jahrhunderten, sie waren die ersten Siedler des Tales, sie rodeten die Wälder und schufen fruchtbares Ackerland. Ihre Nachkommen hatten nicht mehr diese Riesenkraft und konnten auch nicht solches leisten, wie die Riesen leisteten. Kleine Menschen waren Nachkommen der Riesen. So erklären sich ältere Leute die Besiedlung des Brixentales.

Die Riesen leben heute noch in der Volksüberlieferung, in den Geschichten und Sagen der wilden Löda, fort.

Diese wilden Löda waren die wenigen Nachkommen der ersten Riesen, die das Tal rodeten. Große, kräftige Männergestalten waren sie. Leistungen vollbrachten sie, daß jedermann staunen mußte. Bäume entwurzelten sie mit Leichtigkeit, Steine preßten sie zusammen, daß das Wasser herausrann, und noch vieles andere taten sie.

Besonders berühmt wurden die Riesen vom Falkenstein im Spertentale. In der Sage "Der Heidenschatz" wird das Schicksal der Riesen so richtig beleuchtet. Die Sage gibt uns ein Bild vom Ende der Riesen. Schätze sammeln war die Hauptleidenschaft der Falkensteiner Riesen; auch die anderen Riesen im Tale haben gleiches getan. Und das Ende: durch die vielen Schätze wurden sie uneinig. War es da nicht ein Leichtes, daß sie von Zwergen, kleineren Leuten, besiegt wurden? Diese haben dann das von den Riesen gerodete Land in Besitz genommen und bewirtschaftet. Die Riesen drängte man auf die Berge. Sie wurden arbeitsscheu und widmeten sich immer mehr ihrer Hauptleidenschaft, dem Schätze sammeln.

Die zurückgedrängten Riesen wurden leutscheu; sie trauten niemandem. In der Einsamkeit führten sie jedoch kein eintöniges Leben. Im Gegenteil, sie fingen nun wohl von neuem zu arbeiten an, doch ihre Arbeit war umsonst. Sie waren nun einmal dem Golde ergeben, das sie vom Segen der Arbeit losband.

Von ihrem Leben in den Wäldern erzählen folgende Volksg'sagat:

Ein Bauer hatte auf der Alm noch manches zu tun und so begab er sich an einem regnerischen Herbsttage dorthin. Als er in die Hütte kam, war alles in Unordnung, obwohl der Senner bei der Heimfahrt alles in Ordnung brachte. Schnell stieg dem Bauern der Gedanke auf, daß die wilden Löder hier gewesen sein müssen. Am Abend kochte sich der Bauer ein Mus. Während er aß, kamen drei wilde Löder bei der Tür herein, stellten sich um die Esse und begannen für sich das Nachtmahl vorzubereiten. Auf den Bauern achteten sie gar nicht. - Einer brachte eine Muspfanne, die so groß war wie ein Kaskessel. Der zweite brachte einen Sechter Schmalz, warf es in die Pfanne und begann zu kochen. Der Dritte steuerte Wurzenmehl bei. Nachdem das Mus fertiggekocht war, teilten sie es in drei Teile und jeder begann seinen Teil zu essen. Löffel brauchten sie keinen, denn sie nahmen die Hand. - Dem Bauern wurde es ungemütlich und er verließ noch in selbiger Nacht die Hütte.

Aus den Wurzeln der Waldkräuter erzeugten sie Mehl. Sie sammelten die Wurzeln, trockneten sie und mahlten sie mit zwei großen Mühlsteinen. Auch auf die Jagd gingen sie; das Fleisch brateten sie am Spieß. Ihre Hauptkost war Fleisch und Mus.

Dunkel war es, wie in einem Sack, als ein Bauer vom Tal heim ging. Er war bei seinem Bruder auf dem Nazzlberg. Der Weg führte ihn durch einen dichten Wald. -"Bauer, komm', ich zeig dir was", rief eine Stimme und als der Bauer aufschaute, stand ein wilder Loda neben ihm. Der wilde Loda führte den Bauern ein Stück durch den Wald, dann stiegen sie durch einen Schacht in die Erde. Dort zeigte ihm der Riese einen Kaskessel, der mit lauter schönen Goldgeschmeiden gefüllt war. Der Riese versprach dem Bauern die Hälfte des Schatzes, wenn er ihm seine älteste Tochter als Frau lasse. Der Bauersmann kam in arge Verlegenheit; schließlich sagte er, er müsse zuerst seine Tochter fragen, ob sie einverstanden ist. - Da zog der Riese einen Vorhang zurück. Der Bauer sah seine Tochter inmitten von Riesen; sie tanzte und lachte mit ihnen. Nun willigte der Bauer ein. Da nahm nun der wilde Loda die Hälfte der Goldgeschmeide aus dem Kaskessel und ging mit dem Bauern zu dessen Haus. Dort legte er sie vor die Haustüre hin und verschwand. - Sein Leben lang sah der Bauer seine Tochter nicht mehr. Manchmal reute es ihn bitter, daß er für Gold sein eigenes Kind verkauft hatte. Aber auch die wilden Loda hatten nicht alles Glück mit solchem Handel. Ihr sehnlichster Wunsch, Nachkommen dadurch zu erhalten, ging nicht in Erfüllung. Sie trauerten deswegen und mancher stürzte sich von einem Felsen in die Tiefe.

Sie waren wild, scheu. Ungern kamen sie mit Menschen zusammen. Nur in finsteren Nächten führten sie Menschen in ihre Wohnungen und zeigten ihnen ihre Schätze.

Von den Bauern wurden die wilden Loda nicht geachtet, denn sie galten als Verführer. Im Windautale kam ein Bauer um seinen Hof, weil er von einem wilden Loda verführt wurde. Er fing an, sich von der Ackererde loszulösen und begann Schätze zu sammeln. Die wilden Loda nahmen ihn dann auf, doch er starb bald.

Schnell starben die Riesen aus. Die letzten Riesen versenkten ihre Schätze in den Rainkarsee. - "Sink, Gold, so tief du kannst und glänze nicht. Sucht man dich, dann bring nicht Glück", sprachen die Riesen, während sie ihre Schätze versenkten. Nachdem sie ihre Schätze dem See übergeben hatten, zogen sie vom Brixentale weg. Nur einer, der vom Falkenstein im Spertentale, zog nicht in die Fremde. Seine Schätze verwahrte er im Berge. Nach seinem Tode wollte man den Schatz suchen, fand ihn auch, konnte ihn aber nicht heben, da die Berghöhle voll Wasser war.

Quelle: Anton Schipflinger in: Wiener Zeitung für Volkskunde 1942, S. 16.
aus: Sagen, Bräuche und Geschichten aus dem Brixental und seiner näheren Umgebung, gesammelt und niedergeschrieben vom Penningberger Volksliteraten Anton Schipflinger, zusammengestellt von Franz Traxler, Innsbruck 1995 (Schlern-Schriften Band 299).