Das Wetterglöcklein
(Tiroler Oberland)

Vier alte Hexen hausten einst in der Nähe des Inns. Eine kleine Hütte, die eher einem Stalle glich, mit Garten, war ihr Besitz. Sie lebten und arbeiteten miteinander. Zank und Streit waren tägliche Erscheinungen ihrer Gemeinschaft; auseinander gingen sie deswegen nicht, denn sie mußten beisammen bleiben, bis der Tod sie trennte. Wie sie zusammen kamen, davon erzählen uns nachstehende Zeilen.

In einem kleinem Dörfchen im Oberinntale hatten die Bewohner ein Wetterglöcklein, das, trotzdem es die kleinste Glocke weit und breit war, alle großen Wetter vertrieb. Drei Geschlechter waren schon vergangen, niemand konnte sich eines Unwetters erinnern. Sobald das Glöcklein erklang, stoben die Gewitter auseinander und gingen in anderen Orten nieder.

Eine Nachbargemeinde kam zu dem Gedanken, das Glöcklein in dunkler Nacht zu stehlen und zu den Glocken der eigenen Kirche zu hängen. Man wußte aber nicht, wie man es anstellen sollte, um bei der Tat nicht ertappt zu werden. Auf allerlei Pläne kam man, ausführen wollte sie niemand, selbst um viel Geld nicht.

Drei junge Bauerntöchter, denen man nachsagte, daß sie zum Arbeiten zu schön seien, kamen in einer Vollmondnacht an einem bestimmten Platze zusammen. Sie hatten beschlossen, gemeinsam zu der in der Nähe wohnenden Hexe zu gehen, um dieselbe um Rat zu fragen, wie man das bekannte Wetterglöcklein am ehesten hierher bringen könnte.

"Wenn ihr wollt, bringe ich euch die Glocke in der nächsten Neumondnacht zu meiner Hütte her und ihr könnte die Glocke hier abholen", sagte die Hexe, blickte den Töchtern mit ihren sprühenden Hexenaugen in die Augen und zerrte an ihrem Kittel.

"Bring' uns das Glöcklein. Für die Arbeit werden wir dich gut entlohnen", sprachen jubelnd die Töchter.

"Dreimal der Kittel von hinten, dreimal von vorn, wo das Wasser still rauscht, soll unser Häuserl steh'n", murmelte die Hexe. Die Bauerntöchter verstanden die Worte nicht und gingen.

Einige Tage vor der Neumondnacht erboten sich die drei Bauerntöchter die Glocke zu bringen. Viel Geld versprach man ihnen. Den Dreien glänzten die Augen vor Geldfreude, sie spotteten über die dummen Menschen, die nicht verstanden, wie man das Wetterglöcklein am leichtesten entwenden könnte, und ihr Hochmut stieg gewaltig. Ihre Zukunft sahen sie sorglos vor sich, die buntesten Pläne schmiedeten sie, alles würden sie beherrschen und über arme Leute ließen sie manches harte Spottwort fallen.

In der Neumondnacht holten sie das Glöcklein. Von der Hütte der Hexe bis zur Kirche zogen sie es mit einem Räderschlitten. Am anderen Tage tat man die Glocke in den Turm.

"Was nützt uns das Glöcklein? Durch unsaubere Hände ist es gegangen. Es wird eher Unwetter bringen als vertreiben", sprach der Priester, der die Gemeinde betreute, denn ihm gefiel solches Handeln nicht.

Am Abend schien es, als komme ein arges Unwetter. Schnell wurde das Glöcklein geläutet. Wie der Priester es sagte, so kam es. Nicht vertrieben hat das Glöcklein das Wetter, sondern herangezogen.

Als das Unwetter losbrach, nahm der Priester den Kelch aus dem Tabernakel und eilte von Haus zu Haus, er nahm den Leuten die Beichte ab und reichte ihnen den hl. Leib dar. Nur drei Personen in der Gemeinde verweigerten den Empfang der Hostie, es waren die drei Töchter, die die Glocke brachten. Nach dem Priester ging die Hexe von Haus zu Haus, sie suchte die drei Bauerntöchter. Als sie dieselben gefunden hatte, mußten sie mitgehen.

"Dreimal der Kittel von hinten, dreimal von vorn, wo das Wasser still rauscht, soll unser Häuserl steh'n", murmelte die Hexe immer und freute sich auf das Unwetter.

Das Dorf versank, als das Wetterglöcklein nicht mehr läutete; zur selben Stunde kam die Hexe mit den drei Bauerntöchtern, die unterdessen die Schönheit verloren hatten und alte Hexen geworden sind, in der Nähe des Inns an. Ein altes, zerlumptes Häuschen stand dort, welches sie als Wohnung bezogen.

In Neu- und Vollmondnächten eilten die Hexen zum Inn und blickten in dessen Tiefe. Sie sahen ihre Gemeinde mit dem Kirchlein und den Häusern, auch ein Glöcklein hörten sie, es war das Wetterglöcklein. Die Bauerntöchter weinten, die alte Hexe fluchte.

Quelle: Anton Schipflinger in: Sonntagsblatt Oberland, 1938, Nr. 33, S. 6.
aus: Sagen, Bräuche und Geschichten aus dem Brixental und seiner näheren Umgebung, gesammelt und niedergeschrieben vom Penningberger Volksliteraten Anton Schipflinger, zusammengestellt von Franz Traxler, Innsbruck 1995 (Schlern-Schriften Band 299).