Das wilde Freil und das Kasermanndl

Auf der Niederkaseralm hauste in alter Zeit ein Kasermanndl. Neben diesem lebte auch ein wildes Freil. Besonders gut haben sich die beiden nicht vertragen. Das Kasermanndl behauptete, es sei eher da gewesen, und das wilde Fräulein behauptete, es sei eher da gewesen. Keines wollte nun die Alphütte verlassen, und heiraten wollten sie auch nicht. Wollte das Kasermanndl kochen, dann goß ihm das wilde Fräulein einige Kübel voll Wasser in das Feuer. Kochte das wilde Fräulein, dann nahm das Kasermanndl die Pfanne und schüttete das Mus in die Saudiesn (ein Faß, in dem das Schweinefutter aufbewahrt wird).

Immer dachten sie nach, wie sie sich einander einen Duck (versteckte Bosheit) antun können; doch immer wurde der Duck vereitelt.

Als sich ein Jahr dem Ende zuneigte, da wollte das Kasermanndl Frieden machen. Das wilde Freil erklärte den Krieg. Und so ging es viele Jahre. Einmal wurde ihnen dieses Leben aber doch zu fad. Eines von den beiden mußte die Almhütte verlassen. Doch keines wolltes dies tun. Da sagte das Kasermanndl zum wilden Fräulein: "Schau, wir könnten ja auch miteinander in Frieden leben. Ganz leicht wäre dies einzurichten."

"Diesen Frieden kannst du dir denken", lachte das wilde Fräulein. "Mit einem so schiachen Loder, wie du bist, mag niemand einen Frieden."

Das war dem Kasermanndl zuviel. Es packte das wilde Fräulein und schmiß es zur Tür hinaus. Dann sperrte es die Tür zu und kochte sich ein schmalziges Mus.

Draußen flehte das wilde Fräulein um Einlaß. Und als das Bitten und Betteln nichts half, sagte es den Fluch: "Nieder Kasermanndl! Nieder Kasermanndl!" Dieser Spruch bedeutete so viel, als das Kasermanndl solle nieder, sich ihr ergeben; es sollte sterben. Doch das Kasermanndl hörte nicht auf das wilde Fräulein. Es verlachte es noch und fragte es, warum es nicht herein komme, um mit ihm Mus zu essen zu können.

Als das Kasermanndl fertig gegessen hatte, sagte es zum flehenden wilden Fräulein: "Jetzt hun i nix mehr. Must dir halt selber kochen." Da nahm dieses ein Holzscheit, schlug ein Fenster ein, kroch daselbst hinein und erschlug das Kasermanndl.

Das wilde Fräulein lebte noch lange auf dieser Alm und wurde später von einem Älpler erschlagen.

Seit dieser Zeit nannte man diese Alm die "Niederkaser"-Alm.

Quelle: Anton Schipflinger in: Tiroler Grenzbote, 1936 Nr. 86; Die Heimat Glocke (Beilage zum Tiroler Grenzboten und zum Tiroler Volksblatt, Blatt 19, S. 6.
aus: Sagen, Bräuche und Geschichten aus dem Brixental und seiner näheren Umgebung, gesammelt und niedergeschrieben vom Penningberger Volksliteraten Anton Schipflinger, zusammengestellt von Franz Traxler, Innsbruck 1995 (Schlern-Schriften Band 299).