MAXIMILIAN IN DER MARTINSWAND

Es gipfelt sich an der Landstraßen von Augsburg nach Innsbruck ein jäher überhoher Felsen in die Wolken hinauf, welcher nach dem anliegenden Dorf Zirl der Zirlerberg, auch nach der nächsten Kirche St. Martin, und weil er gleich einer gemauerten Wand emporstrebt, St.-Martins-Wand genannt wird. In dieser Wand verstieg sich Maximilian in seiner Jugend, als er den Gemsen nachkletterte also, daß er weder vorwärts- noch zurücksteigen konnte. Wie ihm damals muß zu Mut geworden sein, ist leichtlich zu vermerken: Wo er sich hinwandte, hatte er den Tod vor Augen; sah er über sich, drohten ihm die überhängenden Felsen, welche sich abreißen und sein Leichenstein werden konnten; sah er unter sich, erschreckte ihn eine grausame Tiefe von mehr als hundert Klaftern, die ihm sein Grab zeigte; sah er sich um, war er mit Felsen umgeben, welche viel zu hart waren, um sich seiner erbarmen zu können; mit einem Seil oder anderem Werkzeug zu ihm zu kommen hätten alle Steinbrecher in Monatsfrist nicht vermocht. Er sah zwar seine Hofdiener unten im Grund in neugeborener Kinder Größe sich über sein Unglück krümmen und winden, aber Menschen konnten hier nicht helfen. Er hoffte zwei Tage und Nächte und sah sich in jedem Augenblick um, ob nirgendwo eine Hilfe kommen möchte, aber er konnte nichts erhoffen. Endlich erkannte er, daß dieser ungeheure Fels ein Rachen des Todes wäre, um ihn zu verschlingen, und sah sich, gleich dem Propheten Jonas, in einem steinernen Walfisch begraben. Der Rückweg zur Erde war zwar seinem Leib verschlossen, nicht aber seiner Seele das Seufzen gegen den Himmel, dem er sich damals näher befand und der über ihm offen stand. Er konnte sich trösten, daß er wie Moses auf einen hohen Berg gestiegen war, um in dem Schoß des Allerhöchsten begraben zu werden; und weil für seinen Leib keine Speise vorhanden war, das irdische Leben zu fristen, also begann er nach Speise für seine Seele zu trachten, damit er mit Reisezehrung zum himmlischen Leben versehen sein möchte. Demnach rief er, so stark er konnte, und befahl den Seinigen, daß man die Priester mit dem Heiligsten Sakrament kommen lasse und ihm dasselbe zeigen sollte, daß er dann seinen Geist mit der allerheiligsten Speise der Unsterblichkeit, die sein Mund nicht erlangen könnte, sättige und hierauf sich zum Sterben rüste.

Inzwischen erschallte die betrübte Nachricht von diesem Unfall durch das ganze Land, und in allen Kirchen wurde um Rettung zur göttlichen Allmacht gefleht, welche auch das Gebet erhörte und nicht zuließ, daß die hochlöblichste erzfürstliche Familie in diesem ihren allervortrefflichsten Stammzweig also erbärmlich verderben sollte.

Kaiser Maximilian's Rettungin derMartinswand © Berit Mrugalska

Kaiser Maximilian's Rettung in der Martinswand
Fresco Innerkofler Strasse
Foto: Berit Mrugalska, 16. Jänner 2004

Danach am dritten Tag, als der fromme Herr einzig noch mit dem Sterbensgedanken umging, hörte er in der Nähe ein Geräusch; und nachdem er sich nach selbiger Seite gewendet hatte, sah er einen Jüngling in Bauernkleidern daherkriechen und einen Weg in den Felsen machen. Als dieser zu ihm gelangte, bot er ihm die Hand und sagte: Seid getrost, gnädiger Herr, Gott lebt noch, der euch retten kann und will, folget mir und fürchtet euch nicht, ich will euch dem Tod entführen. Also trat Maximilian seinem Führer nach, den man nachmals nirgends finden konnte und daher für einen Hilfsboten und Engel Gottes achten müßte. Man labte Maximilian erstlich mit Speise und Trank, dann hoben sie den ganz Ermatteten auf ein Pferd und brachten ihn so wieder nach Innsbruck, wo ihn sein Vetter, Erzherzog Sigismund, fröhlich begrüßte und ein großes Dankesfest angestellt hat.

Kaiser Maximilian ließ nach einiger Zeit ein Geviert am Ort des Geschehens aus der Wand aushauen und zum Gedächtnis an göttliche Gnadenhilfe ein hölzernes Kruzifix, bei 40 Schuh hoch (welches von unten wegen der Höhe etwa zwei Schuh zu haben scheint) samt dem Bildnis der Mutter Gottes und Sankt Johannes dahin setzen.


Quelle: Adam von Lebenwald, Damographia oder Gemsen-Beschreibung. - Salzburg o. J. = ca. 1694