Die Almabfahrt der Kasermandln

Am Martinsabend fahren die Seelen derjenigen Kinder, die "koa Taf derroacht" haben, von den Alpen ab, wo sie als Kaserterggelen*) "geistweis gien" müssen. Sie steigen immer paarweis zu Thal, und den Zug beschließt ein "Daletsches",**) Krummes.

*) Kaserterggelen sind die kleinsten Kasermanndln,
**) "Daletsch", einzeln.


Einmal wollte ein Mann den Zug aus Wunderwitz beobachten und schaute an jenem Abend beim offenen Fensterl heraus. Bald rückten die Terggelen heran und der Bauer musterte neugierig die kleinen Gestalten. Als aber das letzte kam, sah es zu ihm auf und sagte: "Do hend zwoa Balkelen off'n; de muaß i zuathien": Der Vorwitzige sah von diesem Augenblick an "koan Stroach" mehr. Alle Mittel, die er auch anwandte, seine Augen wieder zu heilen, schlugen fehl. Da erzählte er einmal einem Kapuziner den ganzen Hergang und bar ihn um seinen Rath. Diese hielt es für das beste, wenn der Bauer am nächsten Martinsabend wieder zum offenen Fensterl gienge und dort den Zug erwarte würde. Er that, wie ihm der fromme Pater gerathen hatte, und als die Kaserterggelen wieder vorbei kamen, rief das letzte: "Do hon i zwoa Balkelen zuag'mocht, de muaß i wieder aufmoch'n!" Damit erhielt der Bauer das Augenlicht wieder, nachdem er ein ganzes Jahr für seine Neugierde gebüßt hatte.
(Mutters)

Quelle: Sagen aus Innsbruck's Umgebung, mit besonderer Berücksichtigung des Zillerthales. Gesammelt und herausgegeben von Adolf Ferdinand Dörler, Innsbruck 1895, Nr. 25/2.