Die Beißwürmer von Stadlbach

Auf der Alpe Stadldach im Zillerthale gab es vor Zeiten eine Menge "Beißwürmer", die Menschen und Vieh sehr gefährlich waren. Wenn man das Unglück hatte, von einem solchen gebissen zu werden, mußte man so schnell als möglich zu einer Quelle oder einem Bächlein laufen , um daraus zu trinken, denn es eilte auch die Schlange dahin, und wenn es ihr gelang, früher das Wasser zu erreichen, so war der Mensch verloren, im andern Falle kam die Schlange um.

Lange Zeit mußte man diese Plage ertragen, bis endlich ein Kapuziner auf die Alpe kam und den Sennern erklärte, die Beißwürmer wenigstens für eine zeit lang vertreiben zu können. Er baute sich an einer passenden Stelle einen Ofen, machte um Mitternacht Feuer darin auf und begann aus einem Buche zu lesen. Da krochen die Beißwürmer von allen Seiten zischend herbei, schossen in den Ofen und kamen in den Flammen um. Zuletzt aber wälzte sich ein ungeheuer, weißer Wurm heran und sagte:

"Hatet's g'ess'n Bibernell,
Wachtet's g'storb'n nid sö gschnell,
Hate's g'ess'n Baldriu,
Wachet's kemmen all' d'rfu".

Dann ringelte auch er sich ins Feuer und verbrannte. Nach einer andern Version soll er gesagt haben: "Hascht krod a graisal g'fahlt, oft mießascht dü eih'n".

Nun ist die Alpe einstweilen von diesen Giftschlangen befreit; man fürchtet jedoch immer ihr baldiges Wiedererscheinen. Wenn dies der Fall sein wird, so wächst an dem Plätzchen, wo früher der Ofen gestanden hatte, ein Eichbaum, der drei Wipfel haben wird. Ist er so groß, daß Bretter aus ihm geschnitten werden können, so muß aus denselben eine Wiege gemacht werden, und das erste Kind, das man in ihr schaukelt, wird, wenn es herangewachsen ist, die Beißwürmer wieder vertreiben.*)

*) Vgl. Zingerle, Sagen aus Tirol, Nr. 303.

Quelle: Sagen aus Innsbruck's Umgebung, mit besonderer Berücksichtigung des Zillerthales. Gesammelt und herausgegeben von Adolf Ferdinand Dörler, Innsbruck 1895, Nr. 115.