Der Brugger

Die Kunst, Diebe "bringen zu machen" sowie zu "g'frör'n", besaß auch ein Weißkünstler zu Hippach im Zillerthale, den man nur unter dem Namen "Brugger" kannte. Er hatte sich, um seine Person stich- und schußfest zu machen, ein kleines Theilchen einer hl. Hostie, die er dem Priester während de Wandlung entendet hatte, in eine Wunde an der Ferse einmachen lassen und das Messer, mit dem er sich den Schnitt beigebracht, zwischen den Steinen unter dem Hippacher Stege versteckt. Nur mit jenem Messer konnte er sich die hl. Hostie wieder herausschneiden, denn jedes andere ritzte nun nicht einmal mehr die Haut an seinem Körper. Da trat aber de Ziller aus seinen Ufern, riß die Brücke weg, verheerte weithin die Felder und richtete auch in den Dörfern großen Schaden an. Jetzt war natürlich auch Bruggers Messer auf immer verloren.

Als de Weißkünstler einmal der Christmette in der Hippacher Kirche anwohnte, spürte er auf einmal einen Schmerz auf dem Rücken und bemerkte mit Schrecken, daß ihm die armen Seelen mit Steigeisen an den Füßen über den "Buggel" stiegen. Der kalte Schweiß troff ihm von der Stirn und er getraute sich nicht zu rühren. Die letzte aber drückte ihm ein Kügelchen in die Hand. Nach dem Gottesdienste betrachtete es dasselbe zu Hause näher, fand aber nichts Auffälliges daran und hängte es, da er sonst mit ihm nichts anzufangen wußte, an einem Schnürchen seine Katze um den Hals. Zu Bruggers größtem Erstaunen und Ärger schlüpfte nun das Vieh ungehindert durch alle Mauern und war, so sehr er sich auch bemühte, nicht mehr einzufangen.

Als Bruggers Vater gestorben war und auf dem Rechbrett lag, steckte ihm sein Sohn heimlich zwei Erbsen in die Augen. Nachdem die Leiche beerdigt war, wuchsen jene zur großen Freude Bruggers rasch aus dem grabe heraus. Doch gerade drei Tage früher, als er sie für seine Zwecke hätte verwenden können, mähte sie der Meßner mit dem übrigen Grase auf dem Friedhof ab.*)

Schlimm wäre es ihm bald ein anderesmal ergangen. Er schlich sich nämlich um elf Uhr nachts auf den Hippacher Friedhof, um einer kürzlich begrabenen Wöchnerin das Hemd auszuziehen und es mit dem seineigen zu vertauschen; denn das Tragen eines solchen verleiht übermenschliche Stärke. Er mußte sich aber bei diesem Geschäfte sehr beeilen, da es ihm wohl bekannt war, daß Schlag zwölf Uhr die armen Seelen aus den Gräbern steigen, und man dann eine solche That theuer büßen müßte. Als Brugger das grab wieder zuschaufelte, war es bereits sehr spät geworden und wie er das Kreuzchen auf den Grabhügel steckte, schlug die Thurmuhr die zwölfte Stunde. Nun wurde es plötzlich auf dem ganzen Friedhof lebendig und die armen Seelen stürzten von allen Seiten auf ihn zu. Da ihm das Friedhofspförtlein zu entfernt war, sprang Brugger rasch entschlossen über die Mauer, tief hinunter auf die Straße, und die Geister konnten ihm nur noch einen Fetzten aus einer Lodenjoppe reißen. Aber o Schrecken! auch hier verfolgten sie ihn noch und zwar von allen am längsten sein eigner Vater, der aber auch beim nächsten Bächlein umkehren mußte. Welche Wuth die armen Seelen auf Brugger hatte, zeigte der Umstand, daß man andern Tages jenen Fetzen zu tausend Stücklein zerrissen auf dem ganzen Gottesacker zerstreut fand*).

Als es mit Brugger zu Ende gieng, befahl er noch seine Häuserin, alle seine Bücher und Fläschchen in den Ziller zu werden, damit kein anderer nach seinem Tode die Kunststücke ausüben könnte. Das Weib packte die Sachen zusammen, warf aber nicht ein Stücklein davon ins Wasser. Auf die Frage Bruggers, wie denn der Ziller "gegangen" sei, sagte sie: "Ganz wie gewöhnlich". Daraus erkannte er, daß sie seinen Befahl nicht befolgt hatte, und gab ihr nochmals denselben Auftrag. Jetzt warf sie nur die Hälfte davon hinein und, von Brugger abermals zur Rede gestellt, erwiderte sie, das Wasser habe in allen Farben gespiegelt. Nun gab er ihr zum letzenmal den Befehl, endlich einmal zu gehorchen. Als die Häuserin alles hineingeworfen hatte, färbte sich das Wasser des Zillers blutroth. Einige Tage darauf starb Brugger mit den hl. Sterbesacramenten versehen.

Nach Jahren wurde Bruggers Grab geöffnet, um eine andere Leiche hineinzulegen, doch fand der Todtengräber zu seinem nicht geringen Erstaunen den Weißkünstler noch ganz wie er im Leben gewesen war, nur roth wie ein Lärchenstamm. Da sich nämlich die hl. Hostie immer noch in seiner Ferse befand, konnte die Leiche nicht einmal verwesen. Später legte man den Brugger in ein anderes Grab, hart an der Friedhofsmauer.

*) Vgl. Zingerle, Sagen aus Tirol, Nr. 767.


Quelle: Sagen aus Innsbruck's Umgebung, mit besonderer Berücksichtigung des Zillerthales. Gesammelt und herausgegeben von Adolf Ferdinand Dörler, Innsbruck 1895, Nr. 95.