Gebannte Geister [Der Geist in der Kranebitter Klamm]

Als von einem Hause in Natters dessen Besitzer gestorben war, fieng es darinnen bei Nacht gräulich zu spuken an. Einmal gieng die Haushälterin in den Keller, um ein "G'süf" zu holen. Da sah sie, o Graus, in einem düstern Winkel den ehemaligen Hausherrn sitzen. Entsetzt warf sie den Krug weg, eilte so schnell sie konnte die Stiege hinauf und stürzte windelweiß im Gesichte in die Stube. Halb bewußtlos sank sie auf eine Bank und stammelte nur mühsam, der Geist sitze im Keller. Nachdem sie sich vom ersten Schrecken erholt hatte, erklärte sie, keinen Tag mehr länger im Dienste zu bleiben, packte ihre Sachen zusammen und verließ das Haus.

Endlich entschloß man sich, die hochw. Patres Jesuiten um Abhilfe zu ersuchen. Zwei von ihnen erklärten sich hiezu bereit und es gelang ihnen auch, den Geist in ihre Gewalt zu bringen. Darauf giengen sie mit ihm nach der Kranebitter Klamm, jedoch so, daß ein Pater vorausschritt, dann etwa ein Kilometer hinter ihm der Geist folgte und der anderer Pater wieder in derselben Entfernung hinter dem Geiste hergieng. Da begegnete dem Vorausgehenden ein Weber aus Inzing, der frühmorgens auf die Stör gieng und sein "Zuig" auf dem rücken trug. Diesen warnte der Priester dringend, dem ersten, der ihm begegne, eine Antwort zu geben, da es ein Geist sei, den sie in die Kranebitter Klamm bannen wollten. Bald kam ihm auch ein Herr entgegen, der ihn etwas do Nothwendiges fragte, daß sich der Weber beinah den Mund zuhalten mußte, um ihm keine Antwort geben zu können. Jetzt hatte der Geist keine Aussicht mehr zu entrinnen und wurde in die Klamm gebannte, wo man ihn manchmal heulen hört, daß es einen Stein erweichen könnt.

Quelle: Sagen aus Innsbruck's Umgebung, mit besonderer Berücksichtigung des Zillerthales. Gesammelt und herausgegeben von Adolf Ferdinand Dörler, Innsbruck 1895, Nr. 35/2.