Die Almabfahrt der Kasermandln [Das Höttinger Kasermanndl]


Auf der Höttinger Alpe wirtschaftete einst mehrere Sommer hindurch ein Senner, der seit seinem Tode als Kasermanndl oben geisten muß. Alljährlich fährt es, sobald die Senner die Alm verlassen haben, hinauf und beginnt nun den zu seinen Lebzeiten von ihm verschwendeten Almnutzen zu sammeln. Jedes Stäubchen Mehl und jedes Tröpflein Milch, das er damals leichtsinniger Weise verschüttet hatte, muß es jetzt vom Boden aufklauben, davon kochen und Butter und Käse bereiten. Am Martinsabend fährt es dann mit den Butterkugeln, Käslaiben und dem unter seiner nachlässigen Obhut zu Grunde gegangenen Vieh wieder ab.

Niemandem ist es zu rathen, das Manndl zu beobachten, denn einer, der es sehen wollte und an jenem Abend zum offenen Fenster hinausschaute, kam nut mit über und über geschwollenem Kopfe davon, obwohl er das Manndl nicht einmal zu Gesicht bekommen hatte.

Ein Höttinger Bauer wollte es von der Tenne aus beobachten und schaute zu einem kleinen Loche, das er sich in einen Balken gebohrt hatte, hinaus. Als das Kasermanndl kam, schlug es einen Zapfen hinein, der nun im Auge des Neugierigen steckte. Vergebens versuchte er denselben wieder herauszubringen. Zum allgemeinen Gespötte mußte er ihn ein ganzes Jahr lang im Gesichte zur Schau tragen, bis ihn das Kasermanndl, als sich der Bauer im folgenden Jahre um dieselbe Zeit abermals dort hinstellte, wieder herauszog.

Quelle: Sagen aus Innsbruck's Umgebung, mit besonderer Berücksichtigung des Zillerthales. Gesammelt und herausgegeben von Adolf Ferdinand Dörler, Innsbruck 1895, Nr. 25/3.