Der Schatz bei der Rangger-Kapelle

Als einstens auf einem Felde bei Inzing mehrere Ehehalten emsig bei de Arbeit waren, rief plötzlich eine Dirne den andern zu: "Seht doch jenes Feuer dort bei der Rangger-"Kapelle" und deutete mit ausgestreckter Hand nach der Richtung, wo sie dasselbe wahrnahm. Niemand aber konnte eine Spur davon entdecken, und man lachte sie weidlich aus. Als diese aber trotzdem darauf bestand, ein Feuer zu sehen und sich auch darüber nicht wenig verwunderte, hießen sie die übrigen Dienstboten, die Erscheinung näher zu besehen. Das Mädchen gieng sofort der Kapelle zu, doch je näher es dem Feuer kam, desto kleiner wurden die Flammen, und als es vollend zu demselben hintrat, war nur noch ein Haufe glühender Kohlen übrig. Die Dirne wußte nicht, was sie von ihnen denken sollte, da sie ringsumher niemanden erblickte, der das Feuer ausgemacht haben könnte und kehrte wieder zu ihrer Arbeit zurück. Wie sie sich aber am Fortgehen noch einmal nach den Kohlen umsehen wollte, waren sie verschwunden. Hätte die Dirne ihren Rosenkranz oder einen Gnadenpfennig darauf geworfen, so hätte sich die Glut in reines Gold verwandelt, und das Mädchen wäre zu großem Reichthum gekommen.

Derselbe Schatz blühte auch ein anderesmal in ähnlicher Weise. Als nämlich die Inzinger Bötin abends von Innsbruck zurückkehrte und bei der Rangger-Kapelle vorbeikam, sah sie hinter einem Gestrüpp einem großen Haufen "glianiger" Kohlen liegen. Sie dachte sich, wie doch die Mannsbilder so unvorsichtig seien, das Feuer, welches sie zum Zäunen brauchten, nicht einmal ganz auszulöschen. In der Nähe des Dorfes begegnete sie dem Besitzer jenes Feldes, auf dem sie die Glut gesehen hatte und fragte ihn, ob er heute gezäunt habe. Als er dies verneinte, erzählte ihm die Bötin, was sie bei der Wegkapelle gesehen hatte. Beide giengen nun verwundert dahin zurück. Die Kohlen fanden sie nicht mehr und jetzt erst stieg ihnen eine Ahnung auf, daß hier der Schatz geblüht habe.

Quelle: Sagen aus Innsbruck's Umgebung, mit besonderer Berücksichtigung des Zillerthales. Gesammelt und herausgegeben von Adolf Ferdinand Dörler, Innsbruck 1895, Nr. 52.