Die Geister von der Ebenfeldaste

Wer von Gerlos den Krumbachgraben aufwärts geht, gelangt zur Ebenfeldaste, wo sich vor einem halben Jahrhundert Folgendes zugetragen hat:

Eines Nachts wurde der Senner durch lautes Pumpern an der Hüttentür geweckt. Er stand auf und schaute aus dem Fenster. Da nichts zu sehen war, legte er sich wieder nieder. Darauf begann es abermals zu klopfen. Wieder erhob sich der Senner, öffnete diesmal das Fenster und rief in die Nacht:

"Wer ist da?"

Keine Antwort. Jetzt schob er den Riegel an der Tür zurück und trat vor die Hütte, um Nachschau zu halten. Da bemerkte er im Neuschnee frische Spuren, die hinter die Hütte führten. Furchtlos ging er ihnen nach und stand plötzlich vor einer weiblichen Gestalt. Die hob den Arm und sagte:

"Verkauf die Aste und schenk das Geld einem armen Menschen, dann bin ich erlöst!"

Nach diesen Worten war vom Geist nichts mehr zu sehen.

Dem Senner wurde es unbehaglich auf der Aste. Am nächsten Morgen packte er seine Sachen und machte sich davon. Er verkaufte die Aste und tat mit dem Erlös, wie ihm der Geist geraten hatte. Seither ist die Frauengestalt nicht mehr gesehen worden.

Von einem anderen Geist auf dem Ebnerfeld wird berichtet, dass er die Leute lange Zeit hindurch plagte, wo er nur konnte. Schliefen sie, warf er ihnen in der Hütte das Geschirr durcheinander, ließ den Stier los und übte dergleichen Schabernack, den es noch gegeben haben mag. Aber auch untertags ließ er sich sehen, schnitt Grimassen, reckte den Leuten die Zunge heraus und verschwand wieder. Wenn sie beim Melken waren, nagelte er ihnen die Stalltür zu, und so ging es beinah Tag für Tag. Freilich muss gesagt werden, dass die übermütigen Almer ihrerseits den Geist auch neckten und plagten, wo es nur anging.

Das ging so, bis eines Sommers ein neuer Senner auf die Aste kam. Der redete den Geist, der sich stets als graues Mandl zeigte, gütig an, und damit war die arme Seele erlöst.

Quelle: Hifalan & Hafalan, Sagen aus dem Zillertal, Erich Hupfauf, Hall in Tirol, 2000, S. 60f.