Die Erdhenne
In alten Zeiten hatte mancher Hof seinen eigenen Schutzgeist, der sich
immer bemerkbar machte, wenn Unheil drohte. So wurden die Leute rechtzeitig
gewarnt und konnten das nahende Unheil oft im letzten Augenblick abwenden.
Die Schutzgeister machten sich den Leuten auf verschiedenartige Weise
bemerkbar. Da gab es zum Beispiel solche, die durch "Gluggeln",
wie man es von den Bruthennen her kennt, auf sich aufmerksam machten.
Es schien immer aus dem Boden zu kommen, und wegen dieses Gluckerns wurde
der Hausgeist "Erdhenne" genannt.
Ein solcher Geist hat sich vor langer Zeit auf "Baumgarten"
im Gerlostal aufgehalten. Es geschah öfter im Jahr, dass die Leute,
wenn sie am Abend in der Stube beisammen saßen, vom Fußboden
herauf das Gluggeln vernahmen. Sie wussten, dass sich der Geist damit
anmeldete, um vor einer Gefahr zu warnen. Was aber noch viel wichtiger
war: Er gab auf gestellte Fragen immer bereitwillig Antwort.
So gluggelte der Geist einmal besonders lang und heftig, und die Leute bekamen es schon mit der Angst zu tun, weil sie meinten, ein großes Unglück stehe bevor. Da fragte der Bauer den Geist, was es denn gebe.
"Schaut in der alten Küche nach!",
lautete die Antwort, und gleichzeitig hörte das Gluggeln auf. Als
die Leute in der alten Küche Nachschau hielten, bemerkten sie, dass
es im Heublumenfass "gschmödete" und sich der Brandgeruch
schon im ganzen Raum ausbreitete. Das feuchte Heu hatte sich selber entzündet.
Durch die Warnung der "Erdhenne" konnte der im Entstehenbegriffene
Brand rechtzeitig entdeckt und der Hof vor einer Feuersbrunst bewahrt
werden.
Quelle: Hifalan & Hafalan, Sagen aus dem Zillertal, Erich Hupfauf, Hall in Tirol, 2000, S. 57f.