DER HEXENMEISTER HAPSCHLÜSSEL
Ein Hexenmeister, der in der Brixner und Klausener
Gegend von den Leuten der "Hapschlüssel" (Hauptschlüssel) genannt
wurde, weil er die versperrten Thüren zu öffnen verstand, trieb
vor Zeiten den Eisack auf und ab und im Pusterthal sein Unwesen. Er hatte
mehrere Spießgesellen, die er alle in der Schwarzkunst unterrichtete.
Die Obrigkeit war ihm wohl oft auf der Spur, aber es wollte ihr nicht
gelingen, ihn einzufangen, denn er stand im Zaubern selber dem Satan nicht
weit nach. Wenn etwa einmal einer von den Spießgesellen eingebracht
wurde, gleich war der Meister zur Hand und befreite ihn mit Hilfe seiner
Zauberkünste. Er besaß auch ein meeraltes Buch mit allerlei
kuriosen Zeichen und Sprüchen. Mit diesem Buch zauberte er und machte
Wetter und Hagel.
Einmal war zu Villpeder in Lüsen geschlachtet worden, und das Fleisch
thaten sie in den Keller. Der Hapschlüssel aber hatte den Braten
gerochen, und weil Schloß und Bande vor ihm nicht standhielten,
fand er sich auch alsbald im Keller ein und mästete sich seine Trommel.
Aber die Leute hatten ihn gemerkt und eilten mit Heugabeln, Dreschflegeln
und Sensen herbei, um den Nimmersatt aus dem Keller zu holen und ins Gerichtsstüblein
zu setzen. Wie sie nun in den Keller kommen, springt eine schwarze Katze
zum Kellerfenster hinaus, und mit dem Gerichtsstüblein war es nichts.
In einem andern Bauernhofe bemerkte man den Hapschlüssel, als er
gerade ober dem Hause den Weg herabging. Als die Knechte eiligst mit allerhand
Waffen hinausliefen, ihn zu fangen, und "heute kommt er uns gewiß
nimmer aus" sagte der Bauer, indem huschte ein kohlschwarzes "Harmle"
in den nächsten Holzmeiler, und vom Hapschlüssel war nirgends
eine Spur mehr. Sie legten das Holz wohl sorglich auseinander, aber es
war nichts darin.
Einmal war ihm die Obrigkeit wieder auf der Spur. Es war in der Vintl,
und der Hapschlüssel saß gerade im Wirtshaus und trank eins
oder zwei. Auf einmal stolperten die Gerichtsdiener bei der Thür
herein in die Wirtsstube, um ebenfalls eins zu trinken, denn auf der Pirsch
nach dem Zauberer war ihnen die Zunge kleben geblieben. Sie redeten natürlich
von nichts anderem als vom Hapschlüssel und rathschlagten, wie sie
ihn am leichtesten fangen möchten. Sie kannten ihn jedoch von Angesicht
nicht, sonst hätten sie ihn ja da gehabt. Einer sagte: "So machen
wir's, wie ich euch gezeigt habe, daß man's angreifen muß;
sonst hat's wieder die 'Muggn'." " Da schmunzelte der Hapschlüssel
und kroch unbemerkt, da er sich verwandeln konnte, wie er wollte, in seinen
leeren Weinkrug. So nach einem Trümmel Zeit, während die andern
noch immer von ihm redeten, schob sich der Deckel des Weinkruges in die
Höhe, und der Kopf des Zauberers tauchte aus des Krügleins Bauch
und hub an zu reden.
"Ihr sucht den Hapschlüssel?" sagte er, "da bin ich." Über das
nahmen die Gerichtsdiener, zu Tode erschreckt, allesamt Reißaus
und liefen zur Thür hinaus, so schnell sie konnten.
Endlich gelang es den Gerichtsdienern doch, ihn in ihre Gewalt zu bekommen.
Sie luden ihn in Ketten auf einen Wagen und lieferten ihn fort zum Gerichtshaus.
Auf dem Wege kehrten sie, wo der Wirt den Reif herausgehängt, ein,
denn sie waren müde und durstig, und tranken eine Maß. Sie
dachten, der Zauberer steckt in harten Eisen und kann nicht los. Während
sie drinnen tranken, kam ein Büblein des Weges, und der Hapschlüssel
sagte: "Bübel, geh, wirf mir eine Handvoll Erde auf den Wagen!" Das
Büblein that es, und der Zauberer, der in Berührung mit der
Erde seine Schwarzkunst wieder erlangte, machte, daß er davonkam.
Als die Gerichtsdiener herauskamen, lag statt des Gefangenen ein Strohhalm
in den Ketten.
Aber der Krug war endlich am längsten beim Brunnen gewesen. Die Obrigkeit
machte sich allen Ernstes an den Zauberer, und es gelang, ihn dem Gericht
in die Hände zu spielen. Man hatte dafür gesorgt, daß
er nicht mehr mit der Erde in Berührung kam und lieferte ihn ein.
Der Richter verurtheilte ihn zum Tode auf dem Scheiterhaufen.
Die Kunde von seiner Hinrichtung verbreitete sich rasch unter dem Volke,
und alles lief nach der Richtstätte, wo schon der Scheiterhaufen
geschichtet stand. Man machte so schnell mit ihm als nur möglich
und warf ihn in schweren Ketten auf den Holzstoß, aus welchem bereits
schwarzer Qualm emporwirbelte. Mit ihm verbrannten sie sein Zauberbuch.
Die Flammen schlugen empor und setzten Scheiter und Reisig in vollen Brand.
Aber merkwürdig! Während der Hexenmeister zu Pulver und Staub
verbrannte, stieg das Buch in die Höhe und schwebte eine Weile frei
in der Luft. Dann erst wurde es vom Feuer ergriffen und sank langsam hernieder,
verbrannte jedoch nicht auf einmal, sondern Blatt auf Blatt. Als dann
das letzte Blatt verglommen war, fiel das äscherne Buch auf die Brandstatt
zurück. (Brixen.)
Quelle: Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus
Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf Heyl, Brixen 1897,
Nr. III / 80, Seite 170