DIE BAUERNDIRNE MIT DEM BARTE
In St. Cyrill, nahe bei Brixen, lebte einmal
eine muntere Bauerndirne, die zu nichts größere Freude hatte,
als zum Spaßmachen. Sie hatte schon öfter die Männer um
den Bart beneidet und sagte eines Tages: "Ach, wenn ich nur auch einen
recht großen Bart bekäme!" Siehe da, als sie am andern Morgen
aufstand und in den Spiegel schaute, denn ein wenig eitel war sie auch
auf ihre Schönheit, war ihr ein mächtig langer Bart gewachsen,
der bis auf die Knie herabhieng. Weil sie von jedermann deswegen weidlich
ausgelacht wurde, reute es sie, so keck und thöricht sich einen Bart
gewünscht zu haben, und sie schnitt sich den Bart weg. Allein am
nächsten Morgen hieng er schon wieder in derselben Länge vom
Kinn herunter. Darüber war sie sehr unglücklich, verwünschte
ihre Keckheit und that für ihr eitles Wesen, das so harte Züchtigung
erfahren hatte, aufrichtige Buße. Es dauerte auch nicht lange, so
starb die Dirne. Weil sie aber eine fromme Büßerin geworden
und sehr auferbaulich verstorben war, hängte man ihr Bildnis mit
dem Barte zu ewigem Gedächtnis in der Kirche zu St. Cyrill auf.
Nach anderen war die Jungfrau über die Maßen schön und
hatte darob viele Versuchungen zu leiden. Sie betete, Gott möge die
leibliche Schönheit von ihr nehmen, und als sie am andern Morgen
aufstand, war ihr ein langmächtiger Bart gewachsen; die Jungfrau
sei aus deutschem Lande gewesen und eine Heilige geworden.
Quelle: Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus
Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf Heyl, Brixen 1897,
Nr. III / 23, Seite 132