Naglroath

Überall ist die Meinung verbreitet, dass jene Dirnen, welche sich sogar an Tonsurierten [Geistlichen] vergangen haben, nach dem Tode keine Ruhe finden. Sie werden in wilde Stuten verwandelt und müssen alsogleich zu einem Schmiede kommen und sich glühende Rosseisen aufschlagen lassen. Sind sie nun beim rechten, der es versteht, sie zu beschlagen, dann geht es ihnen gut, und sie sind nicht auf ewig verloren; kann es aber der Schmied nicht, dann fällt ihre Seele dem Teufel zu. Denn das Beschlagen solcher Stuten ist ein Mysterium der Schmiede-, sie nennen diese Kunst "Nagelroath", und nicht der zehnte versteht sich darauf. Wer diese Kunst aber versteht, der ist durch kein Mittel dahinzubringen, auch nur ein Sterbenswörtlein davon auszusagen, sonst wäre er selber des Satans. Schon viele haben sich bemüht, davon etwas Rechtes zu erfahren, aber es ist noch keinem gelungen.

Hie und da ereignet es sich, dass die eine oder andere dieser verzauberten Seelen ein Eisen verliert, und daher kommt es, dass man Hufeisen auf den höchsten Felszinnen findet, wo nie, seit die Welt steht, ein wirkliches Ross hingekommen sein kann, wo höchstens Gemsen umherklettern. (Unterinnthal.)

Quelle: Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf Heyl, Brixen 1897,
Nr. 22, S. 63f