Sagen vom Pillersee
Pillersee, Tirol © Claudia Ruppitsch

Der Pillersee in Tirol
© Claudia Ruppitsch, 16. April 2007

Ein Bauer besaß eine so fruchtbare Alpe, dass im ganzen Unterinnthale [Unterinntale] keine andere so viel eintrug. Daher konnte er großen Viehstand überwintern und übertraf bald die Bauern weit und breit an Geld und Gut. Wie nun das so gewöhnlich geht, der reiche Bauer wurde dadurch über die Maßen eitel und übermüthig [übermütig], that [tat] sehr groß und ließ seine Goldvögel allenthalben singen und fliegen. Eines Tages stieg er mit mehreren leichtfertigen Kameraden, die sich sein Prassen zunutze machten, auf die Alpe; dort gedachten sie mit den Sennern Kurzweil zu Pflegen. Oben wurde nun gezecht, und als sie sämmtlich betrunken waren, musste der Senner aus der goldgelben Almbutter Kugel und Kegel formen, und mit der Gottesgabe hüben sie an, ihr frevelhaftes Spiel zu treiben. Aber das war des Übermuthes noch nicht genug. Sie hatten einen Spielmann mitgebracht, der nun draußen vor der Hütte aufspielen musste. Weil die Frevler in ihrem Rausche selbst nicht zu tanzen vermochten, sollte das Vieh dazu den Tanz besorgen. Sie trieben es mit Peitschenhieben im eingezäunten Lager umher und quälten es mit teuflischer Bosheit, dass die Thiere [Tiere] vor Schmerz brüllten, während der Fiedler dazu lustige Tanzstücke fiedelte. Zuletzt nöthigten [nötigten] sie noch die Sennerin, ein blutjunges Mädel, mitzuhalten, und thaten Böses an ihr. Aber der ruchlosen That [Tat] folgte die Strafe auf dem Fuße. Alsbald drang unheimliches Gewässer aus dem Boden und schwoll also rasch an, dass nach einer Viertelstunde die Alm sammt der Hütte und den schwer betrunkenen Frevlern im Wasser versank. Nur der Spielmann und die Sennerin, die beide unfreiwillig mitgethan hatten, blieben verschont; der eine ward, auf seinem Stuhle sitzend, wie auf einem Schiffe ans Ufer gespült, das Mädchen aber schwang sich auf den Rücken eines Stieres, der sie durch das Wasser trug. So entstand der Pillersee.

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Der See ist unergründlich, und wenn man das Blei in seine Tiefe senkt, um seinen Grund zu messen, dann tönt es unheimlich herauf:

"Willst du mich ergründen,
Muss ich dich schänden."

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Merkwürdig ist, dass auch dieser See denjenigen, der an seinen Ufern sich niederlegt und einschläft, bis an die Knie ins Wasser zieht. Die Leute erzählen, dass etliche der Bauern, die damals ob ihres Frevels untergiengen [untergingen], im letzten Augenblicke ihre Sünden bereut und Gott um Erbarmen angerufen hätten. Deswegen seien sie nicht verdammt worden, müssten aber bis auf den jüngsten Tag im Wasser büßen. Sie seien dazu verurtheilt [verurteilt], den See von Zeit zu Zeit zu schwellen und zum Aufwallen zu bringen, wodurch es geschehe, dass die an seinen Ufern schlafenden Menschen ins Wasser tauchen.

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Einmal war am Ufer des Sees auch wieder ein Bäuerlein eingeschlafen, und als er aufwachte, spielten ihm die kalten Wellen schon um die Knie, und es schüttelte ihn der Schrecken, weil er dachte, wie er so bald hätte ertrinken müssen. Indem sah er zwei Nattern aus dem Wasser hervorkriechen, eine rothe [rote] und eine weiße. Sie ringelten sich geradewegs auf das Bäuerlein zu, und jede trug ein Krönlein auf dem Kopfe; die rothe eins von rothem Golde und die weiße eins von glänzendem Silber. Und sie schüttelten die Krönlein neben ihm auf die Erde herunter und hüben gar zu reden an. Die eine sagte:

"Meine rothe Krone gehört dir, bewahre sie gut auf, sie wird dir Glück bringen."

Darauf gebot ihm die andere, ihr weißes Krönlein seinem Weibe zu bringen, und auch sie solle es gut verwahren und sorgfältig hüten. Und die Thiere krochen wieder von bannen. Der Bauer nahm die Kronen auf und betrachtete sie mit Staunen, denn sie waren so zierlich gearbeitet und glitzerten so, dass er noch nie in seinem Leben etwas so Wunderbares gesehen hatte. Sodann beeilte er sich, damit heimzukommen, und that, wie ihm die Schlangen geboten hatten. Und als das erste Jahr, darnach um war, hatten die beiden Bauersleute etwas Namhaftes vor sich gebracht, das auch nimmer den Beutel verließ. Das zweite Jahr gieng's noch besser und so fort, und nach etlichen Jahren hatte das Bäuerlein so gut gehaust, dass es ein erkleckliches Capital [Kapital] einstreichen konnte und noch vollauf genug in der Tasche hatte. Aber die Krönlein hatten den Eheleuten auch den Kindersegen ins Haus gebracht; jedes Jahr reifte eins und viel vom Baume, bis die Stube voll war. Und sie hatten alle einander recht lieb und lebten in Wohlstand und Ehren. Bis heute soll dieser Segen von dem Bauernhause nicht mehr gewichen sein.

Quelle: Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf Heyl, Brixen 1897,
Nr. 56, S. 93ff