Die Preiselbeere

Vor langer Zeit begab sich einmal der Teufel zu unserem Herrgott und bat ihn, daß er ihm etwas zu erschaffen erlaubte, wodurch er sich berühmt machen und einen größeren Anhang erwerben könnt. Der Herrgott wußte zwar, daß der Satan nichts gutes erschaffen kann, aber er dachte sich, "der Teufel kommt mir nicht obenauf", und gab ihm die Erlaubnis. Voller Freude gieng der Satan fort, und während er so darüber nachsann, was er am passendsten erschaffen könnte, führte ihn der Weg durch einen Wald, wo viele Moosbeeren von wunderschöner dunkelblauer Farbe wuchsen. "Ei," sagte der Böse bei sich, "schöner wären diese Beeren von rother Farbe genug. Dabei that er den Schöpferspruch, daß jeder, der ein solches Beerlein äße, mit Leib und Seele ihm gehören solle.


Preiselbeeren
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Bildarchiv SAGEN.at, Nr. 14770

Es währte nicht lange, da kamen schon zwei brave Kindlein in den Wald herein, Moosbeeren zu sammeln, und fanden im Suchen auch die rothen. Weil ihnen diese viel seltsamer waren, da sie die blauen doch alle Tage habe konnten, wurden sie von den rothen angelockt, daß sie nicht mehr wiederstehen konnten und sich schon darnach bückten. In dem that sich der Himmel auf, und der liebe Herrgott, der es geschwind bemerkt hatte, machte ein Kreuz auf die Erde herab, und siehe, von Stund an war jede Preiselbeere mit einem Kreuzlein versehen, wie es der Herrgott gemacht. Der Teufel aber fuhr mit Ingrimm zur Hölle hinab und ballte noch vor dem Höllenthor die Faust hinauf vor Zorn und Aerger, daß beim lieben Herrgott zwei Kindlein mehr gelten, als er. (Wildschönau.)

Quelle: Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf Heyl, Brixen 1897, Nr. 49, Seite 86.