Das "Todtenbahrenziehen" [Totenbahrenziehen] in Kufstein
Vor langer, langer Zeit, als noch da und dort ein Schatz gehoben wurde,
überkam manche Leute so sehr die Gier nach Gold, dass sie zu allen
möglichen Mitteln Zuflucht nahmen, um einen Schatz ausfindig zu machen,
wobei sogar manchesmal - wie es ja jedermann bekannt ist- die Hilfe des
"Bösen" in Anspruch genommen wurde.
So trachteten nun zur damaligen Zeit einige geldgierige Bewohner Kufsteins
auf folgende Weise hinter einen Schatz zu kommen:
In der Nacht begaben sie sich hinaus auf den Friedhof, wo sie eine Todtenbahre
[sic] auf einen Karren legten, welchen sie zwischen 11 und 12 Uhr dreimal
herumziehen mussten. Gelang das, so erfuhren sie, wo der Schatz zu heben
sei. Das war aber eine furchtbar schwere Arbeit, denn je länger sie
zogen, desto schwerer wurde die Last, weil bei jedem Schritte sich arme
Seelen auf den Karren setzten, um das Vorwärtskommen zu verhindern.
Einige Männer schoben hinterdrein und schlugen immer wieder hinunter,
was sich hinaufsetzte. Das drittemal kamen sie meist gar nicht mehr herum,
so schwer wurde trotzdem der Karren, und wenn es 12 Uhr schlug, mussten
sie außer dem Friedhofe sein, sonst wehe ihnen! Einmal lief gerade
einer, als es 12 Uhr schlug, durch das Friedhofthor [Friedhoftor]. Da
riss ihm eine unsichtbare Hand den Mantel herunter; er kam gerade noch
aus und lief, was er konnte, aber auch eine ganze Menge von Geistern hinter
ihm her. Des andern Tags fand man ihn auf dem Wege liegen, und kurze Zeit
darauf starb er.
Quelle: Volkssagen, Bräuche
und Meinungen aus Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf
Heyl, Brixen 1897,
Nr. 27, S. 66f