DER BETTLER *)

Vor 700 Jahren kam ein Bettler ins alte Dorf Karres. Er ging von Haus zu Haus und flehte um Almosen. Doch vergebens, denn die stolzen Leute hatten ein steinhartes Herz. Da ging er vors Dorf hinaus, kehrte sich um und rief: "O Karres, Karres, regnen soll es Steine auf dich und deine Brut!" Alsogleich fielen Steine vom Himmel und bedeckten das ganze Dorf.

Vor etwa hundert Jahren tat sich in der Gegend des alten Karres der Boden auf. Warf man Steine in den Schlund, dröhnte es fürchterlich und eine Stimme rief: "Wehe, wehe!" Einige kecke Burschen ließen sich hinabseilen und kamen in ein unterirdisches, halbverfallenes Dorf, auf dessen Gassen Todtengerippe lagen. Endlich fanden sie die Dorfkirche, die noch gut erhalten war. Sie traten in dieselbe, und fanden allerlei werthvolles Geräthe, das sie mit sich nahmen. Sobald sie wieder heroben am Tageslichte waren, schloß sich der Schacht von selbst.

(Im Urtext aus Sagen von J. B. Zingerle.)

*) Dieses alte Karres, in verschiedenen Urkunden „Maure" genannt, lag auf einer Weidefläche östlich von Karrösten. Aus einem seinerzeit dort freigelegten Schacht - er soll vom Silbergruben-Betrieb am Tschirgant herrühren - wurden laut Karrer Pfarrchronik tatsächlich zwei Glocken heraufgeholt, deren eine immer noch als Sakristeiglocke in Verwendung steht. Für weitere Grabungen fehlte leider das Geld.


Quelle: Imster Geisterbrevier, Hermann J. Spiehs, Imst 1936, Seite 33