DER GEIST IN DER TRUHE

Die Koppenanne, über die allerhand seltsame Geschichten in Umlauf waren, besaß ein altes "Wöberhaus" unterhalb des Widums. Schon zu Lebzeiten verkaufte sie es samt Zubehör, bloß eine Truhe am Dachboden durfte nach alter Familientradition nicht angerührt, unter gar keinen Umständen geöffnet werden. Nach Meinung der Greisin hauste darin ein Geist, noch aus der Zeit der Bauernkriege her. Tatsächlich hörte man es des Nachts von droben oft klirren und rasseln, stiegauf, stiegab trampeln, wie wenn ein Kampf vor sich ginge. Am Portiunkula war es immer besonders arg.

Eines Tages aber siegte bei den Nachfolgern der Koppenanne doch die Neugierde und sie sprengten die Truhe auf. Es lagen darin: Krautmesser, alte Waffen, unter anderem ein von Rostflecken - Blut? - überzogener "Sabl". Dabei ein Zettel nachstehenden Inhalts:

"Mit dem Sabl hat man mein Bue in Kopf abgschlage und acht Tag hat er müesse bei der "Pfroslstaude" (Wildrosenstrauch) afn Zaun stöckn bleibe, zum abschröckenden Beispiel".

Daß es sich hier um eines der Opfer aus der Zeit der Bauernrevolten handelte - in Imst sollen laut hartnäckig fortlebender mündlicher Ueberlieferung an fünftausend Aufständische geköpft worden sein - geht auch aus dem obiger Meldung beigefügten Gedicht hervor, das wohl als eines der Altimster "Wöberlieder" (beim Hausweben gesungen) angesprochen werden kann:

"Wöber pump, pump,
der Kaiser schlöt umb:
Mit Händ und mit Füeß,
mit rostige Spieß
hat Fenstere derschlage,
hat's Blei dervontrage,
hat Kugle draus gosse
und Baure derschosse.
Bumbum, bumbum, bumbum!"

Sonderbar - seit der Oeffnung der Truhe spürte man den Geisterlärm nicht mehr. Die Koppenanne zeigte sich jedoch mit dieser Gewaltlösung nicht einverstanden. Sie prophezeite dafür großes Unheil, das denn auch wirklich in Form des Weltkrieges 1914 - 1918 bald darnach hereinbrach. Nach ihrer Ansicht war damit wohl für die toten Krieger die Zeit der Ablöse gekommen und sie konnten endlich in die Ewige Ruhe eingehen - aber wehe den Lebenden!


Quelle: Imster Geisterbrevier, Hermann J. Spiehs, Imst 1936, Seite 38