WIE DER KAPILLGEIST ERLÖST WURDE

In der Kapill, einer märchenhaft schönen Gegend zwischen Imst und den Teilwiesen, soll von altersher ein Putz gehaust haben, der den Bauern die Wasserschaufeln verstellte und sonstigen Schabernack trieb. Schließlich ward er seines Treibens müde und es wuchs Gras über ihn und seine Taten.

Generationen hindurch rührte sich nichts mehr, aber siehe da, eines Tages lebte der Spuk wieder auf. Zwei Angrenzer dortselbst, der "Patzler" und der "Tanzer", waren im Streit um das Wasserrecht vor Gericht gekommen. Dieses entschied zugunsten des "Patzler", der seine "Wasserrod" urkundlich nachzuweisen vermochte. Allein der "Tanzer", auch "d' Halftere" genannt, gab sich deshalb noch lange nicht geschlagen. "Der Kapillgeist soll dich jedsmal verfolge", verwünschte er seinen Prozeßgegner, "sooft an Wasserwal aufmachst!"

Hatte der Gerufene den Wunsch vernommen? Tatsächlich bekam es das an sich etwas ängstliche Patzlerbäuerl von diesem Tage an mit Geistererscheinungen zu tun. Wenn es des Nachts sein Kapillmahd wässerte, erschien fast jedesmal eine schneeweiße Gestalt und hetzte ihn mitsamt seinem "Kratzle" (Walhaue) in die Flucht. Seine beiden Töchter versuchten vergeblich, ihm den Spuk auszureden, ja sie mußten zusehen, wie ihr Vater vor Angst und Schreck ganz verfiel.

Die Jüngere mit Namen Regina klagte ihrem Liebhaber dieses Leid. Da derselbe dem wohlhabenden Patzler als ein armer Teufel als Bräutigam nicht sonderlich willkommen war, trachtete der Bursche, dem zukünftigen Schwiegervater in der Geistersache ausgiebigen Beistand zu leisten.

Ohne jemanden in sein Vorhaben einzuweihen, legte er sich gelegentlich in weißer Umhüllung, mit einem Peitschenstiel bewehrt, in der Kapill droben auf die Lauer. Als erster kam das Patzlerbäuerl, sah mißtrauisch umher, bekreuzte sich etlichemale hintereinander um schließlich ans vorgenommene Werk zu gehen. Man sah's ihm ordentlich an, wie schwer dem Angsthasen die Arbeit wurde. Plötzlich ein Aufschrei aus des Patzlers Kehle, denn der Geist war erschienen. Weit von sich schleuderte das Bäuerl sein Kratzle und schickte sich an, die Flucht zu ergreifen. Aber der Geist war flinker, vertrat ihm den Weg, mit hohler Stimme rufend: "Patzler, ich sag dir's zum aller-allerletztenmal, verzicht auf die Wasserrod zugunsten des Nachbars, denn deine Vorfahren haben sie bloß widerrechtlich erworben. Tust's it, wirst nimmer lang zu leben haben!" Danach ein unheimlicher Gluckser, der Geist machte kehrt, um sich vom Diesseits wieder nach dem Jenseitigen zurückzuziehen. Doch schon ereignete sich das Seltsame. Ein zweiter, ebenfalls in Weiß gehüllter stürmte heran, einen Peitschenstiel in den Händen. Sogleich nahm der Erstlinggeist Reißaus. Aber der zweite erwischte ihn und schon sauste der Peitschenstiel auf die Schultern des Konkurrenten nieder. Mund und Augen riß da das Patzlerbäuerl auf. In seiner Gutherzigkeit bettelte es sogar für seinen Widersacher um Gnade.

"I tu ihn grad erleasn!" kam es als Antwort zurück. Und die Prügelkur ging weiter, so lange, bis der vermeintliche Geist heulend und zähneklappernd das Leintuch von sich zerrte, um auf allen Vieren davonzukriechen.

"Noch einmal, daß d' dich blicken laßt in dem Feld, so erschlag ich dich!" lautete die Warnung des handfesten Geistes. Das Patzlerbäuerl wollte schon vor ihn hinknien, ihm aus tiefster Seele "Vergalt's Gott" sagen, doch der Helfer in der Not verzichtete auf derlei.

"So, Vater", legte er flinkerweis seine Vermummung ab, "jetzt wirst dein' Ruh haben!"

Die Geschichte endete somit auf sehr gerechte Weise. Dem Tanzer war das Geisterspielen ein für allemal verleidet worden, mußte er doch wochenlang das Bett hüten, so arg war er vom Liebhaber der Patzlerjungfer zugerichtet worden. Nicht genug damit, kam er in der nachfolgenden Fasnacht in die "Labera", was ihn am allermeisten verdroß.

Der mutige Helfer aber und die Regina wurden bald hernach ein ein Paar und der Patzlervater hatte sein Jawort nicht zu bereuen. Einen besseren Schwiegersohn und Hoferben als den Seppl hätt er sich nit wünschen können. Wer selbst mit Geistern so im Handumdrehen fertigzuwerden vermag, der weiß sich eben auch in allen Wechselfällen dieses Erdenlebens gar wohl zu helfen.

Kapill: Wiesen links und rechts des alten Weges vom "Obermarkt" zu den Teilwiesen


Quelle: Imster Geisterbrevier, Hermann J. Spiehs, Imst 1936, Seite 19