VORWORT

Die Stadt Imst mit ihrem herrlichen Berggrund, mit ihrer geschichtlich bis in die Zeit der Römer zurückreichenden und darum insbesondere kulturgeschichtlich so interessanten Vergangenheit; sie mußte ein guter Nährboden sein für das Entstehen von Sagen und Volksmythen, welch letztere sich ja im "Schemenlofe" und anderem Imster Brauchtum bis zum heutigen Tage erhalten haben. Erstere freilich sind hier wie andernorts durch die Vernunftmeierei des 19. Jahrhunderts, durch eine völlig krankhafte Sucht, das Volk aufzuklären, verschüttet worden, sodaß es schwerfällt, sie wieder bloßzulegen.

Selten nur, daß ein "Urimschter" oder ein altes Weiblein aus der Schule schwätzen. Gott nein, tausendmal lieber behalten sie das Sagen und Meinen ihrer Altvorderen für sich, schon aus Angst, mißverstanden oder gar verspottet zu werden.

Nur Beharrlichkeit, innerste Anteilnahme an den Schicksalen der im Grunde ihres Wesens wieder kindgewordenen Alten, vor allem aber die ehrliche Freude am Fabulieren der Volksseele, ermöglichen es dann und wann, solch einen versunkenen Schatz zu heben.

Und wie ein kunstvoll geschliffenes Geschmeide noch nach Jahr und Tag seine ursprüngliche Form und Wesenheit erkennen läßt, so auch solches Sagengut, das sich, ähnlich einem mineralischen Fund, einreihen läßt in eine ganz bestimmte Epoche.

Jäger- und Hirtenzeit, erstes, seßhaft werdendes Bauerntum, Rittertum, Zeit des Bergsegens und Vogelhandels einerseits, versinkendes Heidentum und mählich erstehender Christenglaube andererseits - all das spiegelt sich mehr oder minder deutlichen solch sagenhaften Gebilden, uns deren Echtheit bestätigend.

Wenn Ambros in der Vorrede zu seiner Musikgeschichte sagt: "Durch ihre Taten lernt man die Völker kennen, durch ihre Lieder aber sieht man ihnen ins Herz!" so gilt das erweiterten Sinnes auch hier, denn gewiß offenbart sich die Volksseele selten so rein und unverfälscht, wie im Reich der Sage.

All denen, die mich in der Erfassung nachstehenden Sagengutes unterstützten, sei hiemit öffentlich gedankt, insbesondere: Frl. Anna Deutschmann, Frau Anna Hörting, Frau Anna Heel (Nichte des Dichters Josef Praxmarer), Herrn Hansjörg Schatz senior und dem wackeren Altimster Bürger Fidel Pechtl, vulgo Schlempeler, der bei seinen 87 Jahren wie ein Kienspanlicht in das Dunkel der Vergangenheit hineinzuleuchten vermochte.

Die übernommenen Altsagen sind als solche gekennzeichnet und getreu dem Urtext wiedergegeben.

So möge dieser erstmalige Versuch einer geschlossenen Darstellung des Imster Sagengutes nicht bloß ein Stündchen Unterhaltung bieten, sondern obendrein Liebe und Verständnis der engeren Heimat fördern helfen; mit anderen Worten: Das Band enger knüpfen, das uns Lebende mit unseren Altvorderen verbindet.

Imst, im Winter 1936
Hermann J. Spiehs.