Drachen

In der Reihe völlig sagenhafter Thiere, die im Volksglauben Tirols leben, und zum Theil Rollen gespielt haben sollen, behaupten die Drachen den ersten Rang.

Man hat und zeigt Drachenlöcher, Drachensteine, Drachenklammen und Drachenböden. Diese und der Drachensee, welcher im beträchtlichem Umfang auf dem Mieminger-Hochgebirge, zwischen dem Marienberge und der sonnenspitze mit spiegelklarem Wasser fluthet, sind die unzerstörbaren Dokumente der Drachensagen und des Glaubens einstigen Vorhandenseins diese Ungethüme, wozu die Drachenhöhle bei der Sill zu Wilten vorzugsweise gehört. Endlich die Drachenzunge, welche im Kloster Wilten aufbewahrt wird, sollte über das einstige Vorhandensein keinen Zweifel übrig lassen.

Dieser Drache soll ausgesehen haben, wie man sie in alten Büchern abkonterfeit findet, und wie er ob der Wiltauer Stiftskirche neben Haimon, dem Riesen, de ihn tödtete, in Stein ausgehauen steht, so:

Drachenkopf mit kurzen Ohren, vier Füße mit Krallen, großer geringelter Schweif, zwei Fledermausflügel, welche zusammengelegt werden konnten, daß man von weitem keine Flügel erkannte, deßwegen man auch ungeflügelte Drachen vermeinte. Der Hauch war giftig.

Die Gestalt der Drachen, wie sie in den Tiroler Sagen vorkommen, ist so: Ein Kopf, halb schlangenartig, halb hundartig mit kurzen Ohren, so wie man den Metzgerhunden die Ohren stutzt, kurz, jedoch spitz-aufwärts. Wohl langen hals, Leib wie ein Stier so stark und gedrungen. Der Rachen weit mit zwei Reihen Zähnen wie geschliffene Schwerter. Sie Augen feurig groß, fast Feuer schießend. Vier Füße mit Bärentatzen und mit erschrecklich scharfen Adlerklauen daran. Alles schuppig und rauh. Der Drachenschwanz war lang und so stark, daß er die stärksten Rösser niederschlagen konnte, mit dem verteidigte sich der Drache auch am meisten, mit den schlug er die Bauern nach Dutzenden zu tod - ein Hieb vom Drachenschwanz war genug, ein Stück Felsen, wie ein Haus so groß, weg zu schlagen. Die Fledermausflügel dienten ihm beim laufen, daher konnte ihm kein galoppierendes Pferd entfliehen, wenn er ihm nachlief. Die Farbe war gelblich braun, da und dort röthlich, besonders unter den Flügeln blutigroth. Wenn der Drache lief, da hörte man sein Schuppengerassel von weitem schon, und konnte sich oftmals retten. In seinem Hirn hatte er einen Stein, de absonderliche Kräfte besaß, der aber schwer zu bekommen war, denn man fand ihn nur dann und konnte ihn herausnehmen, wenn der Drache noch nicht tod war. Sieder Stein ist der Drachenstein, wovon die Weiß- und Schwarzkünstler und Wunderdoctoren gar vielerlei verwunden, daß er nicht tod ist, denn mit dem Tod verschwindet er zu Luft, wenn er aber noch etwas Leben in sich hat, muß man die Hirnschale aufschlagen und geschwind das Hirn herausnehmen, und der Stein wird dann dabei sein. Der ist ein wahrer Schatz für die Familie, zu allerlei gut, gegen Schäden und Unglück.

Die Drachen wohnten in feuchten Höhlen neben einem fließenden Wasser oder See, denn sie entstanden aus der Feuchtigkeit oder faulenden Nässe, in welches das Drachenei gelegt worden war.

Der Glaube an das einstige Dasein der Drachen hält fest, weil man in Kirchen den heiligen Georg mit dem Drachen so oft sieht; die reichen Bauern auch gerne dort, wo das Wasser vom Dache rinnt, mit besonderer Vorliebe einen Drachen anbringen lassen, welcher dasselbe weit heraus auf den Weg speit, und weil auch die Wappenbilder so viele Drachen enthalten. Wenn sich in den älteren Zeiten die Tiroler auszeichneten, und als Lohn mit einem Wappenschild belohnt wurden, fehlten selten der Adler - Tirols Symbol - und eben so wenig ein drachenartiges Thier.

Daß Drachen große Ungeheuer gewesen sein müssen, beweisen die Schauergeschichten, daß die einen großen Ochsen im Rachen davontragen konnten. Hatten sie nichts zu essen, so war das gleich, sie leckten vom Gestein in ihren Schluchten jenen salzigen Ueberzug, der sich wie z. B. das Bittersalz ansetzte und gut für Hunger und Durst war. Wer solchen Ueberzug fand, konnte damit viele Monate lang existiren. Dieses Drachensalz entstand von Ausathmen des Ungethüms, welches an den Wänden anschlug und als chemischer Niederschlag eine solche Lebens-Auswitterung hervorbrachte; wenn der Drache aber lange Zeit fort war, hörte auch die Auswitterung auf. Eine Schweizersage bestätigt dieß.*)
*) Siehe: L. Bechstein Deutsches Sagenbuch: 14

Die Größe des Drachenkopfes läßt sich durch seine lange Zunge abschätzen, welche, wie schon gesagt, im Kloster Wilten aufbewahrt ist.

Gleich beim Eingange von der Poststraße hinter der Pfarrkirche zu Wilten steht rechts ein hohes Gebäude an der Friedhofmauer. Es ist eine Kapelle (mit Beinhaus), dem hl. Georg geweiht; zu beiden Seiten des Hochaltars sind zur Zierde wirkliche Todtenschädel aufgethürmt, welche den Weltkindern schauerlich vorkommen, das brave Bäuerlein aber gar nicht erschrecken, denn das geht alle Samstag dahinein, betet für die armen Seele, und sagt seinen Buben oder Madlen: Da schaut's, so werd's a heunt oder morgen - drum seids brav und laßt nöt vom Schutzengel! und diese Predigt merken sie sich immer.

In dieser Kapelle steht links vom Eingang der Riese Haimon mit einem furchtbaren Schachtschwert an der Seite, im Harnisch, die Drachenzunge in der linken Hand und auf ein Wappenschild die rechte Hand stützend, welches am Boden steht und an seinen rechten Fuß sich lehnt.

Riese und alles andere ist von Holz gehauen. Ein starker Mann, der sich neben den Riesen stellt, reicht ihm bis zu den Schenkeln hinauf, nicht weiter.

Der Riese steht auf einem Piedestal, darauf ist in alter Schrift zu lesen:

Als Tag und Jahr
Verlossen war,
Acht hundert schon verstrichen,
Zu siebzig acht
Hats auch schon g'macht,
Da Heymon Tod's verblichen.
Der tapfre Held
Hat sich erwählt
Ein Kloster aufzuführen,
Gab alles hinein
Ging selbst auch drein,
Wollt doch nicht selbst regieren.
Hat löblich g'lebt,
Nach Tugend g'strebt,
Ein Spiegel war er allen.
Riß hin, Riß her (Ries),
Ist nicht mehr er,
Ins Grab ist er hier g'fallen.
Requiescat in pace.

Auf der Nebenwand sind zwei Holztafeln, so groß, daß sie die ganze Wand überdecken, darauf steht mit deutlichen Lettern geschrieben:

"Uralte in Reimen verfaßte Nachrichten vom Riesen Heymon."

I. Tafel.

Viel Zaichen seind in diesem Land - Daß Riesen haben allda g'wohnt,
Alß haust im Schloß Tirol, Signoth de Riß bekannt gar wohl,
Von Vern (Verona, Bern) den Herrn Dietrich, Bestreiten thäte ritterlich,
Der Herkules gleich wie vor Zeit - Erschlug den Cacum in den Streit,
Dergleichen auch an orten mehr, Findet man von Riesen hin und her,
Der Held Seifried wohnt wie man sagt, Am Rein bei Worms unverzagt
Vor Sib'n hundert sechsfünfzig Jahr, An diesen ort ein Riß auch war
Heymon genannt zur selben Zeit - Im Gotteshauß hier begraben leit,
Nemt sein Begrägniß hier in Acht, Sie ist nur bloß von Holz gemacht,
Sein Läng zwölf Schuh und vier Zoll thut; Erliegt allda in guter Hut.
Von wo der Riß sei kommen her, Findet man noch nicht in g'wisser Lehr,
Onzweifelt ist daß dieser Mann, Geboren sei von hohen Stamm,
Die Wappen zeigen dieses an, So g'mahlen hier im Gotteshaus stahn,
Ob seinen Helm ein Leopard, Auf rothen Riß gemalen ward
Mit grien und weiß der Schild geziert, Der tapfre Held dies Wappen fihrt.
Als aber Er kamm in das Land, Viel wilde Thier er allda fand,
Von Rauberei es auch voll steckt - Mit Wäldern weit und breit bedeckt,
Jetzt ist's ein Gegen (d) fruchtbar schön, Zur Sommerzeit in Wasen gren (grün),
Die Felderzierd nach rechter Weis, Das thut der Bauern Müh und Fleiß.
Zur selben Zeit im Land auch wohnt - ein andrer Riß war Thyrfus g'nannt,
Zu Seefeld er sin Wohnung hält, Da noch das Heiltum aufrecht steht.
Als dieser g'hört das Heymon wär Ankommen wollts nicht leiden er,
Den G'walt er haben wollt allein, In dieser Gegend Herr wollt sein.


II. Tafel (Fortsetzung):

Er wollt vertreiben den Heymon - Trug aber bösen Lohn davon,
Sein Tod ist noch gar wohl bekannt, Ist auch der ort von Thyrso genannt,
Der Heymon Christi Lehr empfing - Hernach auch in sich selber ging;
Das fruchtbare Ort nahm er in Acht, Ein Kloster z'bau'n er da gedacht,
Aufs Werk weil er gedenken thätt', Sein Bau ein Anfang g'machet hätt.
Sieht zu ein Drach dort auf dem Stein - Kommt, hindert da die Arbeit sein,
Speit aus das Gift und wind (wind't) den Schwanz, zerkratzt ihm auch die mauren ganz:
Auch wie das Wasser reissen thut, Mann's aufbricht (t) auf ein Archen gut,
Sodann bringts durch die Felder aus, Daß sicher ist kein Hof noch Haus!
Heymon die Sach zu Herzen nahm, Wußt doch nicht was er fing an,
ob alles wär zu unterlahn, Daß er das Thier von dannen bracht,
Verfolgt es nis an ein Loch, Darinnen sich der Drach verkroch,
Sein Kräften braucht er allesammt, Den Drachen schädigt er zu Hand,
Im engen Thal durch Gottes hand, Zuletzt er ihn auch umbracht hat,
Die Zung riß er dem Drachen aus, Ganz fröhlich kehrt er z'rugg nach haus,
Seine alter Arbeit er vollzoch - Und dankte Gett dem Herren hoch
Daß er ihn hätt die Gnad gethan, Den Drachen bringen ganz hindan.
- Zum Gotteshaus alle Ding zuricht, Um Ordensleut sich bald umsicht,
Um Gottes Will an diese Statt, Er all sein Gut auch geben hat,
Allda wollt' er begraben werden - Im Gott'shaus Wiltau bestatt' zu Erden,
Achthundert siebenzig und acht, Dasselb' Jahr zum Tod ihn bracht',
Das Gotteshaus dieser Ursprung ist: Bitt Gott dafür mein lieber Christ!

In diesem alten Gedicht heißt es: "ist auch der Ort vom Thyrso genannt", will sagen, daß der Ort Thyrsenbach von ihm den Namen hat; Thyrsenbach, ein Weiler von drei Häusern, zwei Stunden ob Zirl an der Poststraße nach Telfs, wo der Thyrsenbach in den Inn läuft. Hier ist eine Kapelle, wo benannte zwei Riesen angemalt sind.

Quelle: Mythen und Sagen Tirols, gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Zürich 1857, S. 372ff