ZUR SAGE DER RÄUBER VOM GLOCKENHOF

Der Sage nach lebte im Volderwald, durch den in alten Zeiten die Hochstraße führte, ein berühmter Stück- und Glockengießer, der, seines ehrlichen Handwerks müde und verführt von seinen wilden Gesellen, sich mit ihnen aufs Rauben und Morden verlegte.

Durch zwei Näherinnen, die sich am Glockenhofe auf der Stör befanden und zufällig die Bande blutbefleckt heimkehren sahen, wurden die bösen Taten der Räuber ruchbar.

Die irdische Gerechtigkeit ereilte den Meister Glockengießer, brachte ihn zum Geständnis und verurteilte ihn zum Tode durch das Schwert.

Er bat sich die Gnade aus, seine Verbrechen durch den Guß einer großen Glocke für das Milser Gotteshaus führen zu dürfen. Seine Bitte wurde ihm gewährt und unter den Klängen seines Werkes, der neuen Glocke, empfing der reumütige Meister den Todesstreich.

Das ist der Kern der Märe, die, wie kaum eine andere der Tiroler Sagen, den Weg zum Herzen des Volkes fand.

Der bekannte Volkserzähler Pfarrer Josef Praxmarer schrieb die Geschichte von den Räubern vom Glockenhof, taufte darin den Übeltäter "Hans Gatterer" und rückte das Geschehnis in das Jahr 1629.

Schon der Herausgeber der Neuauflage von Praxmarers Büchlein, Archivar Danner, hat festgestellt, daß die Untat, wenn sie überhaupt geschah, um 100 oder 150 Jahre früher angenommen werden müßte.

Tatsächlich befiehlt anno 1499 König Maximilian dem Pfleger zu Rettenberg, alle Stauden, die zwischen Volders und dem Aschbach stehen, auf Erdhöhe abzuschlagen, damit das Holzwerk kein Versteck mehr bieten kann und Raub, Mord und andere Übel bei der Volderer Brücke, so zu verschiedenen Zeiten geschehen, künftig verhütet werden.

Demnach sind zu Ende des 15. Jahrhunderts und vorher bei der Volderer Brücke und im Volderwalde Raub- und Mordfälle vorgekommen.

An dieser Brücke - ein wichtiger Verkehrspunkt - nahmen die Haller Zollgelder ein. Hier begann der sogenannte Kuntersweg, der über Volderwald, Haller- und Gasteigerhof, Judenstein, Lans nach dem Süden führte, auch Hoch- oder Salzstraße genannt.

Den vereinigten Gerichten Sonnenburg, Rettenberg und Thaur, die alle drei großes Interesse an der Sicherheit der Straße hatten, mag es wohl gelungen sein, eines solchen Straßenräubers habhaft zu werden und ihn am Haller Galgenfeld sein Verbrechen sühnen zu lassen.

Darunter kann leicht einer gewesen sein, der sein Tun bereute und sich die Gunst ausbat, in seinem letzten Stündlein die große Glocke von Mils hören zu dürfen. Weniger wahrscheinlich aber klingt die Beschuldigung, daß der Meister Glockengießer vom Vorderwald der Mörder gewesen. Um diese Zeit saß auf dem Glockengießerhofe zu Vorderwald das ehrsame Geschlecht der Melser. Anno 1456 wird schon der Glockengießer Thomas Melser genannt; bei seinem Sohne Jakob Melser ließ der Rat von Hall die zersprungene Marktglocke erneueren und 1511 bei Hans Melser eine neue Marktglocke gießen.

Die Träger eines so künstlerischen Handwerks, die noch dazu in drei oder vier Generationen auf ein und demselben Hofe saßen, haben sich nebenbei wohl kaum mit Mord und Totschlag beschäftigt.

So dürfen wir wohl für das Geschlecht der Melser auf dem Glockenhofe, soferne es in die Mordgeschichte hineingezogen wird, eine Lanze einlegen; der Gleichklang der Namen Melser und Mils hat hier Verwirrung angerichtet.

Die große Glocke von Mils, die nach dem Volksglauben dem schuldigen Meister den letzten Gruß geboten, ging beim Kirchenbrande anno 1791 zugrunde. Sie stammte nicht aus dem Volderwalde, sondern aus der Werkstatt Peter Löfflers.

Ihre heutige Nachfolgerin - der Krieg hat sie glücklich verschont - besitzt keinen minder warmen, melodischen Ton. Wenn sie feiertäglich zum nahen Vorderwalde herüberklingt, gibt sie mit ihrer Stimme der Sage vom reumütigen Glockengießer und seinem versöhnenden Ende immer wieder neues Leben.

Quelle: Innsprugg. Bürger. Bauten. Brauchtum. Gesammelte heimatkundliche Schilderungen. Von Hans Hörtnagel. Innsbruck 1932. Seite 124.