UNSER GNADENBILD

Als im Hause des Leopold Gaßler eine Weibsperson eine Kammer ausbohrte, hörte sie ein Weinen hinter einer Truhe, sah nach und fand dort ein Muttergottesbild, welches weinte. Leopold trocknete mit einem Tüchlein die Tränen des Bildes, die aber immer wieder kamen, so daß das Tüchlein ganz naß wurde. Er hängte das gereinigte Bild an die Wand und legte das nasse Tüchlein in einen Kasten. Als er es wieder herausnehmen wollte, war es nicht mehr zu finden. Das Bild an der Wand weinte aber auch hier noch öfter. Die Nachbarsleute kamen herbei und man zeigte das Wunder den geistlichen und weltlichen Obrigkeiten. Es wurde untersucht und als wahr befunden. Eine Besessene, welche um die Wege war, erklärte, das Bild habe nicht die Bestimmung in Inzing zu bleiben, sondern müsse nach Kaltenbrunn gebracht werden. Man tat es. Allein der Geistlichkeit zu Kaltenbrunn schien es nicht glaublich, daß dies Bild hierher gehöre. Die Besessene aber, die man auch nach Kaltenbrunn geführt hatte, wiederholte ihre Behauptung und fügte bei, wenn man das Bild nach Inzing zurückbringen wollte, werde es so schwer werden, daß man mit ihm nicht mehr weiter kommen könne.

Man beschloß dennoch den Versuch zu machen. Er gelang. Das Bild wurde ohne Anstand zurückgetragen. In allen Gemeinden ward es mit größter Feierlichkeit empfangen und wieder in Inzing aufgestellt, wo alsbald eine Kapelle für das Bild erbaut worden ist.

Eine andere Version meldet, das Bild sei von selbst nach Inzing zurückgekehrt und früher dort angekommen als die Träger, welche es nach Kaltenbrunn überbracht hatten.

Nach Zingerle, Sagen aus Tirol[45].


Das Bild wurde von Gaßlers Ehefrau Gertraud Hechenbergerin, um die Weihnachtszeit 1685 im Hause, Hauptstraße 13 gefunden, als sie die Kammer auskehrte. Das Bild ward Gaßler von seinen Eltern hinterlassen worden, fand aber im Hause keine besondere Beachtung. Über das weinende Bild heißt es in einem schriftlichen Bericht:

"Die Hauswirtin Gerdrauth Hechenbergerin hat wahrgenommen, daß die Bildnis mit Zähren schweiße; und da sie nun solches zum öftren und häufiger gesehen, hat sie auch andere Benachbarte, umb der Begebenheit halber Kundschaft und Bericht einzuziehen und geben zu können, herzuberufen."

Leopold Gaßler schreibt über die Begebenheit am 31.8.1686 an den Kuraten in Kaltenbrunn folgendes:

"Ich kann nicht unterlassen, Eure Hochwürden mit disem Zettel zu berichten, wie und wasgestalt es sich in meinem Hause zugetragen mit einem Maria-Hilfbild, welches Bild zu der heiligen Weihnachtszeit die lichten Tränen vergossen; als wenn es natürlich geweint hätte, welches meine liebe Hausfrau augenscheinlich gesehen und mir dieselbe auch darnach solches gesagt hat. Den andern Tag zu morgen hab ich selbst geschaut, so hat dies Bild stark geschwitzt, daß es bis auf die Brust ganz naß geworden ist, und ich dasselbe unbesonnen mit einem Tüchlein abgewischt.

Die Besessene hieß Ursula Egger. Es ist nicht bekannt, ob diese ihren dauernden Wohnsitz in Inzing hatte, oder ob sie sich nur zeitweise aufhielt. Gaßler war begierig zu erfahren, wie sich die vom Teufel Besessene vor dem Marienbild benehmen würde. Sie wurde deshalb in die Stube gebracht, in der sich das Bild befand. In einem Schreiben schildert Gaßler, wie der Teufel die Besessene geplagt habe und was dieser mit dem Munde der Egger gesprochen habe. Als Zeugen führt er Johann und Christian Fritz, Peter Windegger und Johann Dietrich an, die dabei zugegen waren. Daß Ursula Egger die Übertragung des Bildes nach Kaltenbrunn gefordert habe, erwähnt Gaßler in diesem Schreiben nicht.

Bis zur Übertragung nach Kaltenbrunn blieb das Bild im Hause des Leopold Gaßler.

Daß das Gnadenbild tatsächlich in Kaltenbrunn war, geht aus einem Brief (vom 30.8.1686) des dortigen Kuraten hervor. Es wurde wahrscheinlich von Gaßler selbst dorthin in der ersten Junihälfte des Jahres 1686 gebracht. Kaltenbrunn war in alten Zeiten für die Inzinger ein beliebter Wallfahrtsort. Dieser Umstand und vielleicht die Hoffnung, daß Gaßler dort eine bestimmte Erklärung erlangen könne, ob das Bild ein Gnadenbild sei oder nicht, mag ihn bewogen haben es zu dieser Gnadenstätte zu bringen.

Das Bild war allerdings nur eine Nacht in Kaltenbrunn. Am nächsten Tag schon erschienen Männer aus Inzing, um den kostbaren Schatz wieder in Ihre Heimat zurückzubringen. Es wurde aber nicht mehr in die Behausung des Leopold Gaßler gebracht, sondern in der Pfarrkirche auf den Hochaltar gestellt.

Es wird vermutet, daß deshalb der 2. Juli (Maria Heimsuchung) bei uns besonders gefeiert wird, weil es der erste Marienfeiertag nach der öffentlichen Aufstellung des Gnadenbildes in der Kirche ist.

Die Gaßlersche Verwandtschaft entschloß sich für das Bild eine eigene Kapelle zu erbauen. Die Erlaubnis dafür wurde von der geistlichen Obrigkeit am 14.8.1686 erteilt.

Beim Bau wurde die rechte Seitenmauer der Kirche durchbrochen und die Kapelle in den Friedhof hinaus gebaut, da sie nach Weisung der Geistlichkeit keinen Zugang von außen haben durfte. (Es handelt sich dabei noch um die alte Kirche, deren Hauptachse nicht wie beim heutigen Gotteshaus von Osten nach Westen, sondern von Norden nach Süden verlief). Wo diese Kapelle stand, ist nicht bekannt. Angeblich sei sie beim Bau der jetzigen Pfarrkirche in diese mit einbezogen worden. Die Baukosten betrugen rund 1600 Gulden.

Am 14.9.1687 wurde dann das Bild in feierlicher Prozession unter Beteiligung einer großen Menge Gläubiger vom Hochaltar in die neuerbaute Kapelle übertragen. Anschließend wurde ein geistliches Schauspiel aufgeführt, das aus einem Vorspiel, Hauptspiel und Nachspiel bestand. Während sich das Hauptspiel mit der Unterdrückung der albingensischen Ketzerei beschäftigte, handelte das Vorspiel von dem gnadenreichen, weinenden Maria-Hilf-Bild. Es war ein Schauspiel der Rosenkranzbruderschaft, schrieb man doch dem Rosenkranzgebet die erfolgreiche Bezwingung der Ketzerei zu. Das Spiel wurde in den Jahren 1720, 1723, 1724, 1751 und 1791 wiederholt und beweist, daß in Inzing schon vor Jahrhunderten das Volksschauspiel gepflegt wurde.

Der Altar der Kapelle wurde am 22.10.1688 von Seiner hochfürstlichen Gnaden Franziskus Johannes Graf von Kuen geweiht.

Daß das Bild allgemein eine große Verehrung genoß, beweisen die hohen Opfergaben von 600 bis 700 Gulden, die bereits im ersten Jahre eingingen.

Die große Zahl der Gläubigen, die nun hier Trost und Hilfe suchten, war unter anderm auch die Ursache, daß nun in usrer Gemeinde ein Beneficium errichtet wurde. Die Seelsorge wurde zwar immer noch von Flaurling aus verwaltet, aber es war doch ständig ein Priester hier, der täglich das Meßopfer feierte und am Krankenbett Trost und Segen spendete.

Der erste Beneficiat war Franz Aigner. 1686 scheint er zum erstenmale als Taufender im Flaurlinger Taufbuche auf.

Zahlreiche Votivtafeln in der Kirche weisen heute noch darauf hin, daß die Bittenden Gnade erlangten. In der Schrift über die 200 jährige Säkularfeier unseres Gnadenbildes sind auch sieben schriftliche Zeugnisse erwähnt, die davon berichten, daß den Gläubigen hier geholfen wurde. Es müssen aber mehrere Schriftstücke vorhanden gewesen sein, denn vier der verfügbaren sind mit einer Nummer versehen und zwar mit Nr. 63, 74, 77 und 91.

Als mehrere Personen mündlich und schriftlich versicherten, daß sie am 15. und 16.8.1814 gesehen hätten, wie Maria samt ihrem göttlichen Kinde die Augen geöffnet und den Mund bewegt hätten, nahm in den folgenden Jahren die Wallfahrt zum Gnadenbild besonders stark zu. Erst nach der Jahrhundertwende wude die Zahl der Wallfahrer von Jahr zu Jahr geringer und ist seit dem Ende des Ersten Weltkrieges unbedeutend.

Das Bild selbst ist eine Nachbildung der Maria-Hilf-Darstellung von Lukas Cranach (1472-1553).

Ein Wandgemälde und eine Inschrift am Hause in der Hauptstraße Nr. 13 zeigen an, daß hier das Gnadenbild gefunden wurde.

Auch das Fresko in der mittleren Kuppel unseres Gotteshauses stellt die Verehrung des Gnadenbildes dar. Links vom Muttergottesbild ist Leopold Gaßler zu sehen. Hinter ihm stehen Wallfahrer aus bürgerlichen und adeligen Kreisen, rechts beten Bauern zur Gottesmutter. Das Gemälde stammt von Anton Kirchebner, der während der Arbeit am 17. August 1779 vom Gerüst stürzte und dabei ums Leben kam. Das Gemälde wurde dann von seinem älteren Sohne Franz Kirchebner vollendet.

1785 fand eine Jubiläumsfeier statt, die an die Auffindung des Gnadenbildes vor 100 Jahren erinnerte. Kurat Johann Schöpf erwähnt dies in seiner Aufschreibung über die zweite Säkularfeier. Bisher konnte ich aber weder im Pfarramt noch in den Archiven Aufzeichnungen über den Verlauf des Festes finden.

Über die zweite Jahrhundertfeier, die von Mittwoch, den 12. August bis Sonntag, den 16. August 1885 dauerte, verfaßte der damalige Kurat in Inzing, Johann Schöpf, einen Bericht, der vom Vorsteher (Bürgermeister) Peter Hofer, von den Gemeinderäten Josef Klotz und Johann Spiegl, von den Ausschußmännern Gregor Haslwanter, Josef Haller, Johann Draxl, Johann Kratzer, Josef Oberthanner, Josef Mair, Josef Schlierenzauer, Simon Haslwanter, Michael Kratzer, sowie vom Cooperator Franz Buchner und Lehrer Andreas Nagele mitunterfertigt ist. Diesem Bericht, der im Landesarchiv aufbewahrt ist, kann man folgendes entnehmen:

Schon am Vorabend der Säkularfeier, am Dienstag, den 11.8.1885, wurden in der Kirche Predigt und Rosenkranz gehalten, anschließend zog eine Lichterprozession mit Kerzen und Lampions durchs Dorf und zum Abschluß gab die Musikkapelle beim Pfarrhaus ein Konzert.

Am 12. August verkündeten um 3 Uhr früh Böller den eigentlichen Beginn der Jahrhundertfeier. Um 5 Uhr früh (so auch an allen folgenden Tagen) marschierte die Musikkapelle mit klingendem Spiel durchs Dorf.

Um 6 Uhr morgens empfingen bei der Bahnhaltestelle vor einem prächtigen Empfangsbogen (auch beim Dorfeingang gegen Zirl und Hatting standen Bögen) die Geistlichen des Dorfes und der Umgebung, der Bürgermeister mit seinen Gemeinderäten, die Musikkapelle, die Schützen mit Fahnen, Kranzjungfrauen und ein Großteil der Dorfbewohner den Fürstbischof von Brixen, Simon Aichner, und geleiteten ihn zur Kirche. Auch hier war das Portal mit einem Bogen und Gewinden geziert. Nach der Predigt des Bischofs fand das feierliche Pontifikalamt statt. Bei der Mittagstafel waren der Bischof mit 24 Geistlichen zugegen, wobei der Inzinger Kurat Joh. Schöpf zum Geistlichen Rat ernannt wurde.

Auch die übrigen Tage verliefen sehr feierlich. Jeder Tag wurde mit Böllerschießen und Weckruf durch die Musikkapelle eingeleitet. Um 8 Uhr waren Predigt und Hochamt, um 7 Uhr abends Predigt und Rosenkranz. Während der Säkularfeier wurden 10 Predigten von den Innsbrucker Jesuitenpadres abgehalten, denn die Jahrhundertfeier war mit einer Mission verbunden.

Am Donnerstag, 13. August, zelebrierte der Pfarrer von Telfs das Amt. Bei den Telfern genoß die Inzinger Muttergottes große Verehrung, hatte sie doch bei den häufigen Bittgängen ihre Gebete um gutes Wetter oft erhört. Den feierlichen Vormittagsgottesdienst am Freitag zelebrierte ein Dekan aus Preußen, Robert Veit, der damals im Inzinger Schloß ansässig war.

Den Höhepunkt des Festes bildete der hohe Frauentag, am Samstag, den 15. August. Den Festgottesdienst am Vor- und Nachmittag hielt der Prälat von Stams, Cölestin Prader, der ebenfalls wie der Bischof bei der Haltestelle feierlich empfangen und zur Kirche geleitet wurde. Beim Mittagsmahl zählte Kurat Schöpf 22 Geistliche.

Besonders erhebend war die Nachmittagsprozession, die unter Böllerknall und Glockengeläute durch die Dorfstraßen zog. Schuljugend, Kranzjungfrauen, Schützen, die Musikkapellen von Inzing, Telfs, Oberhofen und Flaurling, eine unübersehbare Menge von Gläubigen und zahlreiche Geistliche, die das Gnadenbild begleiteten, (man hatte für das Bild eigens das Ferkulum vom Wiltener Junggesellenbund ausgeliehen) nahmen an dem Umzug teil. Das Allerheiligste wurde nicht mitgeführt, die Andacht war restlos auf das Gnadenbild gerichtet, das von vier Männern der Gaßlerschen Verwandtschaft in Volkstracht getragen wurde. Kurat Schöpf schätzte die Zahl der Teilnehmer auf 6000 und erwähnt, daß die umliegenden Dörfer buchstäblich leer waren.

Das ganze Dorf war zu Ehren der Gottesmutter geschmückt und glich einem Tempel Mariens. Die Häuser waren vielfach neu geputzt und geweißelt worden und mit Fahnen, Gewinden, Transparenten, Sprüchen oder Marienbildern geschmückt.

Das Schlußamt am Sonntag zelebrierte der Flauerlinger Dekan Josef Walter. Mit einem erhabenen Tedeum fand die 2. Säkularfeier ihren Abschluß.

Auch der 250 jährige Gedenktag wurde im Mai 1935 gefeiert. Wenn auch der Glaube nicht mehr so unerschütterlich fest im ganzen Volke verankert war, denn die politischen Verhältnisse der vorhergegangenen fünfzig Jahre hatten manches geändert, so verlief doch die Jubelfeier erbaulich und zeigte, daß die Inzinger Muttergottes in unserer Gemeinde große Verehrung genoß. Auch diesmal standen am Dorfeingang gegen Zirl und vor dem Kirchenportal imposante Bögen, die Häuser waren beflaggt und mit Sprüchen und Muttergottesbildern verziert.

Am Samstag den 11.5.1935 zog um 20 Uhr durch unser Dorf (Kirchgasse, Salzstraße, Dorfplatz, Bahnstraße, Angerweg, Hube, Hauptstraße zurück zur Kirche) eine Lichterprozession, an der auch der Fürstbischof von Salzburg, Dr.Sigismund Waitz, alle Korporationen unseres Dorfes und die meisten Dorfbewohner teilnahmen.

Am Muttertag, Sonntag, den 12. Mai, fanden Vormittag das feierliche Pontifikalamt und nachmittags unter Führung des Erzbischofs die Jubiläumsprozession statt. Obwohl daran nicht mehr soviele Gläubige teilnahmen wie vor fünfzig Jahren, verlief sie doch eindrucksvoll und erhebend.

Am Montag, den 13. Mai wurde in userer Pfarrkirche vom hochw. Fürsterzbischof für die Kinder aus Inzing und Umgebung die heilige Firmung gespendet.

In einer kleinen öffentlichen Feier im Jugendheim wurde der Inzinger Pfarrer Jakob Schreyer vom Fürsterzbischof zum Geistlichen Rat ernannt.

Quelle: Dorfbuch Inzing, Franz Pisch.

© Ernst Pisch.
Dieser urheberrechtsgeschützte Text wurde freundlicherweise von Ernst Pisch für SAGEN.at zur Verfügung gestellt.