Die Münichauer Reiter

Leise säuselte der Herbstwind durch die Bäume, das Laub fiel büschelweise von den Ästen. In den Küchen der Bauern saß man um den Tisch und erzählte. Von den vergangenen Tagen ging die Rede, von den letzten Begebenheiten im Dorf und in der Stadt erzählte man und übte an manchem eine kleine Kritik.

Während draußen in der Natur der Herbstwind sein Spiel trieb, stand der Schloßherr von Münichau in seiner Kammer und war tief in Gedanken versunken. Zwei Kerzenluster erhellten den Raum. Sein Schatten hatte etwas Unruhiges an sich.

Panoramabild Kaisergebirge © Ingeborg Platzer
Panoramabild Kaisergebirge, Kitzbühel
© Mag. Ingeborg Platzer

"Seit ich mit dem Velber, dem Ritter von Falkenstein in der Fehde bin, bin ich so unruhig. Nirgends kann ich auch nur eine Weile ruhen. Ich bin unglücklich geworden", sprach halblaut der Schloßherr von Münichau.

Wie schnell eine Fehde entstehen kann. Hat einer den anderen nie gesehen, und trotzdem kam Feindschaft in die zwei Schloßherren. Und das kam so:

Die freien Burginsassen von Münichau zogen an einem Lenztage auf die Jagd. Sie ritten gegen Kirchberg. Am gleichen Tage waren auch die Falkensteiner auf der Jagd und ausgerechnet in den Wäldern um Kirchberg. Als die Falkensteiner die Münichauer gewahrten, lenkten sie die Rosse dorthin.

"Was sucht ihr hier? Hier gehört der Wald dem Schlosse Falkenstein! Schaut, daß ihr in euer Nest kommt!" rief herrisch und spöttisch Diethard, der Herr von Falkenstein, den Münichauern zu.

Die Münichauer zogen ab. Am anderen Tage sandte Heinrich, der Schloßherr, einen Boten zum Falkenstein und forderte den Falkensteiner zum offenen Kampfe heraus. Diethard lehnte ab; er erwiderte, daß für ihn sein unüberwindliches Felsennest, seine Burg, zum Kampfe bereit stehe. Heinrich von Münichau wußte, was diese Worte bedeuten. Er solle die Burg erobern, wenn er zum Kampfe antreten wolle. Monatelang dachte Heinrich darüber nach. Immer wieder stand er von seinen Plänen ab.

"Vater, wir sind bereit. Wage heute den Ritt zum Falkensteiner Felsennest. Heute haben die Knappen frische Schneid und scheuen weder Tod und Teufel", sagte sein ältester Sohn, der zu ihm in die Kammer kam.

"Wir reiten! sag' den Knappen, sie sollen sich bereitstellen, denn heute Nachtsollen die Falkensteiner ihr Felsennest verlieren", erwiderte gebieterisch Heinrich.

Eilig verließ der Sohn die Kammer, eilte zu den Knappen und teilte ihnen den Entschluß seines Vaters mit. Mit unbändiger Freude nahmen sie die Nachricht auf. Die Pferde wurden gesattelt, Waffen hervorgeholt und ein Trunk auf das Wohl des Herrn von Münichau getan.

Auch Heinrichs Pferd wurde gesattelt. Der älteste Sohn ließ es sich nicht nehmen, als daß er ebenfalls diesem Kampfe beiwohnen müsse. Er besorgte für jeden eine Fackel.

Die Nacht lag über dem Land. Im Schloßhof von Münichau warteten die Knappen auf ihren Herrn. Er kam. Freundlich grüßte er sie, gab ihnen seine Pläne bekannt und setzte sich auf sein Pferd. Die Fackeln wurden angezündet. Der Ritt begann. An der Spitze Heinrich von Münichau; ihm zur Seite sein Sohn Otto.

Unheimlich sah die Schar der reitenden Ritter mit den brennenden Pechfackeln aus.

"Heut' gibt's no was. Jetzt bin ich schon über siebzig Jahre und hätt' viel g'seh'n und erlebt, doch eine so unheimliche Reiterschar sah ich noch nie. Heut' gibt's no was Leut, i sag' was Arges", sagte ernst und mit bedächtigter Miene der alte Isbichler Bauer von Kirchberg.

Im Schlosse Falkenstein in der Sperten herrschte fröhliches Leben. Groß und klein, jung und alt waren im Rittersaale versammelt, tanzten und sprachen dem feurigen Etschländer Wein beträchtlich zu. Es war ein Fest, wie es solches auf Falkenstein wöchentlich eines gab.

"Lasset die Zugbrücke nieder, ladet die Bauern als Gäste, schließet kein Tor, denn jedermann soll bei uns Gast sein", befahl Diethard abends und so wurde es gehalten.

"Die Bauern kommen nicht, die achten uns zu wenig und weshalb sollen wir alles sperrangelweit offen lassen, es hat doch keinen Wert. Darf ich vielleicht die Zugbrücke aufziehen?" fragte der Torwächter Diethard. Diethard lachte und sagte: "Laß' alles offen; es kommen schon Gäste!"

"Am Ende ganz und gar unerwünschte", sagte der Torwächter.

"Was macht es? Wir sind starke Gestalten, wir fürchten niemanden, mag kommen wer will. Wir sind bereit."

Ein Bockhorn erschallte. Schon standen die Münichauer im Schloßhofe. Auf Falkenstein herrschte große Bestürzung. Heinrich von Münichau forderte Diethard von Falkenstein zum offenen Kampfe heraus.

"Knappen! Tretet an! Seid tapfer!" rief Diethard den Knappen zu. "Tretet an!" - Keiner rührt sich. -

"Feiglinge! Wißt ihr nicht, daß ihr auf Falkenstein wohnt? Tretet an!" rief Diethard wieder. Er bebte vor Zorn und begann, sich zurückzuziehen, als er merkte, daß niemand für ihn einstehe.

"An die Arbeit!" befahl Heinrich. Die Münichauer Knappen sprangen von den Pferden, eilten auf Diethard und dessen Knappen zu, banden sie und sperrten sie in die Kerker des Falkensteiner Schlosses.

"Wir sind die Herren von Münichau und Falkenstein", gab Heinrich bekannt. Ganz rot wurde Diethard im Gesichte, er zitterte vor Zorn. Verrat, vermutete er.

Der Kellermeister erschien und rief den Münichauern zu: "Kommt, laßt uns ein Fest feiern, denn es soll kein Sieg ohne Freudenfest sein. Heinrich von Münichau, ich heiße Sie willkommen. Ihnen biete ich nun meinen Dienst als Kellermeister von Falkenstein an."

Heinrich von Münichau nickte. Diethard dagegen, der ebenfalls die Worte des Kellermeisters gehört hatte, brandmarkte ihn als Verräter.

Im feuchten unterirdischen Keller saßen sie alle, die sich stolz als "Falkensteiner" benannten. Welches Ende mag wohl kommen? So wird mancher gedacht haben.

Die Münichauer betraten den Speisesaal und feierten den schnellen kampflosen Sieg mit Wein und gutem Essen. Schon hatte die tückische Kraft des Weines Oberhand genommen. Der Kellermeister aber verschaffte sich den Schlüssel zum Kerker und öffnete den gefangenen Rittern und Knappen die Türe.

Einer von den Münichauern beobachtete das falsche Spiel des Kellermeisters. Er raffte sich auf, nahm sein Schwert und rief seinen Kameraden zu:

"Münichauer! Greift zu den Waffen. Schont nichts auf Falkenstein, den Falschheit und List brüten in diesem Neste!"

Ohne zu zögern, stürmten die Knappen auf, griffen zu den Waffen und als sie die Falkensteiner Knappen befreit sahen, wußten sie, was sich zugetragen, und begannen sich mit ihnen im Kampfe zu messen. Ein blutiger Kampf entstand.

Der erste Tote war der Kellermeister, der durch sein falsches Spiel an allem Schuld war. - Schon ging es der Morgendämmerung zu. Auf Falkenstein war der Kampf beendet. Keiner von den Falkensteinern blieb am Leben.

Heinrich von Münichau sagte zu seinen Knappen: "Was sich hierzugetragen hat, ist durch ein ränkisches Spiel, das durch den Rebensaft herbeigeführt werden sollte, geschehen. Wenn Falkenstein gebrochen ist, so haben wir es gebrochen und wir wollen nicht, daß dieses Nest noch weiterhin bestehen soll; Burg Falkenstein muß zerfallen!"

Die Leichen wurden beerdigt. Aus dem Schlosse schaffte man alles weg. - Einsam und öd stand die stolze Burg da. Welch ein unrühmliches Ende!

Die Münichauer Reiter lebten fort im Volke als die sagenhaften "Reiter von Münichau". Wenn ein Herbststurm über die Gegend von Kirchberg und Reith zog, so hörte man ein fast unheimliches Sausen und man sagte: "Das ist der Ritt der Münichauer Reiter."

Quelle: Anton Schipflinger in: Kitzbühler Nachrichten, 1939, Nr. 26, S. 6 und Kitzbühler Nachrichten, 1939, Nr. 27, S. 8
aus: Sagen, Bräuche und Geschichten aus dem Brixental und seiner näheren Umgebung, gesammelt und niedergeschrieben vom Penningberger Volksliteraten Anton Schipflinger, zusammengestellt von Franz Traxler, Innsbruck 1995 (Schlern-Schriften Band 299).