Das Venedigermandl in Häselgehr

Zur Zeit, als der alte Kronenwirt - auch Geiger genannt — noch lebte — es ist schon lange her -, da blieb bei ihm öfters ein Venedigermandl über Nacht. Der Kronenwirt, ein echter Alttiroler, unterhielt sich gerne mit dem Männchen. Das Männlein trug immer ein kleines Zwergsäckchen über den Schultern. Dasselbe enthielt einen »Venedigerspiegel« und »Erdspiegel«. Mit diesen Spiegeln schaute es in die Felsenklüfte und sah im Schoß der Berge die gleißenden Goldschätze. Wieder einmal war das Kronenwirtshaus seine Herberge. Als es in der Früh dem Wirte die Zeche bezahlen wollte, nahm es ein Häufchen Erde aus dem Säcklein und streute es ihm in die aufgehaltene Hand. Dieser war nicht wenig erstaunt und weigerte sich, wenn auch nicht in grober Weise, diese Art Bezahlung anzunehmen. Das Männlein lachte verschmitzt und bemerkte, er möge sich die Erde nur genauer ansehen. Wie erstaunte aber der Wirt, als er statt der vermeintlichen Erde reinen Goldstaub in den Händen hielt. Mit dieser Art der Bezahlung war er ja zufrieden. Das Männchen entfernte sich und kam nicht mehr wieder.

Quelle: Tiroler Heimatblätter, 3. Jahrgang, 1925, Heft 8 / 9, S. 28, Aufzeichner: Hans von der Trisanna, Ort: Lechtal, zit. nach Sagen aus Tirol, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1992, S. 207.