ST. KATHREIN, Burgkapelle AUFENSTEIN

Am Ausgang des Navistales auf wenig abgesetztem, zum Navisbach steil abfallenden Hügel in wunderbarer Lage gelegen.

Die abgekommene Burg, Stammsitz der tirolischen Ministerialen von Aufenstein (deren Wappen die Eule war, die man im Mittelalter "Auf" nannte) wurde urkundlich 1234 erwähnt. Heinrich II. und seine Söhne Konrad III. und Heinrich III. waren mit dem Grafen von Tirol eng verbunden. Am Beginn des 14. Jahrhunderts errichteten sie in ihrer Stammburg Aufenstein eine doppelgeschossige Burgkapelle.

Unter der Landherrin Margarete Maultasch belagerte 1335 der Burggraf von Tirol die Burg Aufenstein und nahm sie ein, zerstörte sie aber nicht. Maultasch überließ die Burg Aufenstein Heinrich von Rottenburg als Lehen.

Nach neuerlicher Belagerung und teilweise Zerstörung war sie aber weiterhin bewohnbar. 1342 erhielt sie Engelmar von Villanders als Lehen, verlor sie aber 1347 wieder. 1349 wurde die Burg an die Herren von Katzenstein verkauft. Sie wechselte mehrfach den Besitzer und verfiel immer mehr. Im Jahre 1477 wurde an die Burg eine Katharinenkirche angebaut.

Von der Burg Aufenstein ist lediglich die 1330 geweihte, 2geschossige Kapelle erhalten. Es handelt sich um einen rechteckigen massigen Baukörper mit hochragender Front und flachem Giebel gegen Süden. Allseitig tuffgerahmte Rundbogenfensterchen. Im Erdgeschoß eine rundliche, im Obergeschoß 2 eckige spitzbogige Altarnischen mit gemauerten Mensen; flache Balkendecke.

St. Karhrein, Aufenstein, Navis © www.SAGEN.at

Filialkirche hl. Katharina und Burgkapelle Aufenstein
© Berit Mrugalska, 4. September 2005

St. Karhrein, Aufenstein, Navis © www.SAGEN.at

Filialkirche hl. Katharina und Burgkapelle Aufenstein
Aufnahme 4. August 1957
© Bildarchiv SAGEN.at

Die Filialkirche hl. Katharina wurde an die nördliche Langseite der Burgkapelle von Aufenstein angebaut. Sie wurde 1404 urkundlich erstmals erwähnt. Spätgotischer Bau mit massivem Nordturm, vor 1817 barockisiert.

St. Karhrein, Aufenstein, Navis © www.SAGEN.at

Blick auf die Burgkapelle Aufenstein, Filialkirche hl. Katharina und das Widum
vom Weiler Tienzens (Gemeinde Steinach am Brenner) aus gesehen.
© Wolfgang Morscher, 8. September 2005

Vom späten 19. Jahrhundert bis 1955 benutzte man die Unterkapelle von Aufenstein als Schulraum. 1909 wurden von einer Lehrerin Reste von Wandmalereien entdeckt, die Josef Weingartner freilegte und beschrieb. Es handelt sich um die bedeutendsten frühgotischen Fresken Nordtirols. Man brachte darüber ein Getäfel an und verwendete sie weiterhin als Schulklasse, bis 1953 in der Nähe ein neues Schulgebäude für Außernavis errichtet wurde.

Eindringende Feuchtigkeit, abbröckelnder Putz, Risse und Sprünge machten dem damaligen Bürgermeister Johann Penz deutlich, daß man an eine Generalsanierung des Schlosses und der angrenzenden Kirche gehen müsse.

1983 wurde deshalb ein Renovierungsausschuß gegründet, dem es unter Obmann Andreas Holzmann (Schoger) gelang, die Innen- und Außßenrenovierung durchzuführen und die nötigen Geldmittel aufzutreiben.

Die Fresken wurden von Franz Walliser freigelegt und restauriert; in der Unterkapelle sind zum Teil nur Vorzeichnungen erhalten, die Malereien der Oberkapelle sind besser erhalten.

Die Malereien der Unterkapelle sind vor der Weihe am 14. Februar 1330 entstanden. Jene im westlichen Bereich stammen vom Meister der Brixner Johanneskapelle, die daran anschließenden Fresken an der Süd- und Ostwand sind zeitgleich, aber von anderer Hand.

Die Apsisausmalung ähnelt den Malereien in der Oberkapelle, die aus dem fünften Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts stammen und mit der Kapelle von Schloß Tirol in Zusammenhang stehen.

Möglciherweise kam der Maler oder die Werkstatt aus dem Meraner Raum.

Burgkapelle Aufenstein, Navis © www.SAGEN.at

Blick von der Ober- in die Unterkapelle, Burgkapelle Aufenstein
© Wolfgang Morscher, 4. September 2005

Fresko, Burgkapelle Aufenstein, Navis, Tirol © www.SAGEN.at

Fresko Burgkapelle Aufenstein, Unterkapelle Südwand
Für diese Abbildung konnte keine befriedigende Deutung ausgemacht werden, die Erklärung es handle sich um
eine Engelsgestalt wird in Frage gestellt
wir denken eher an eine Heiligendarstellung, mit Krone und Kreuzstab (Zepter), frontal auf einem Hirsch reitend
und von Teufeln verfolgt
© Berit Mrugalska, 4. September 2005

Fresko, Burgkapelle Aufenstein, Navis, Tirol © www.SAGEN.at

Fresko Burgkapelle Aufenstein, Unterkapelle Südwand
in der rechten Fensterleibung ist das Jüngste Gericht dargestellt
Johannes der Täufer kniet vor dem Pantokrator (thronenden Christus)
eine Ebene darunter werden die Verdammten vonTeufeln in die Hölle geführt
© Berit Mrugalska, 4. September 2005

Fresko, Burgkapelle Aufenstein, Navis, Tirol © www.SAGEN.at

Das Gastmahl im Hause des Pharisäers Simon, Südwand Oberkapelle
Jesus und Johannes mit Heiligenschein rechts am Tisch, sie stehen im Disput mit
drei Pharisäer (die Abgesonderten, gebildete Laien) und einem Juden.
Pharisäer und Jude sind deutlich durch ihre Kopfbedeckungen unterschieden
Besonderes Augenmerk gilt den Handhaltungen!
Rechts unten ein Kopffragment mit Nimbus und langen Haaren - Maria Magdalena (?)
Fresko stammt vom Meister der Brixner Johanneskapelle, vor 1330 (seltenes Beispiel gotischer Malerei in Tirol)
© Wolfgang Morscher, 4. September 2005

Fresko, Burgkapelle Aufenstein, Navis, Tirol © www.SAGEN.at

Fresko Burgkapelle Aufenstein, Oberkapelle Ostwand
Darstellung des Pfingstwunders, linke Fensternische
Vom Heiligen Geist, über dem jungendlichen, thronenden Christus (Eleimon), werden die Segensstrahlen auf die
sich darunter befindenden Jünger geschickt
Über dem Fenster Schmerzensmann, linkst un rechts v. Fenster Heilige (Bischöfe?)
© Berit Mrugalska, 4. September 2005

Fresko, Burgkapelle Aufenstein, Navis, Tirol © www.SAGEN.at

Die Ostwand der Oberkapelle, Fresko Burgkapelle Aufenstein
reich freskiert und mit einem sehr interessanten Bildprogramm versehen!
ganz links: ein gekrönter Heiliger (Nothelfer) in purpurnem Mantel mit pelzbesetztem Schulterkragen über einem grünen Geewand. Ein von rechts kommender Engel bringt ihm die Martyrerkrone.
linkes Fenster: Pfingstwunder
Mitte: hl. Veronika mit dem Schweißtuch in frontaler Haltung. Sie hält das Tuch mit dem Antlitz Christi, das zusätzlich von zwei herabfliegenden Engeln gehalten wird.
rechtes Fenster: Schutzmantel-Madonna (links) und hl. Ursula mit Gefährtinnen (rechts) und heiliger Bischof (wohl Pantalus von Basel, einer der Begleiter auf ihrer Fahrt nach Rom). Bogenscheitel: Christus als Halbfigur in einer kreisförmigen Mandola mit Wolken-Wellenband dargestellt.
ganz rechts: Johannes der Evangelist mit Buch und Johannes der Täufer mit Stab und Lamm. Dann beginnender Marienzyklus.
© Berit Mrugalska, 4. September 2005

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Quellen: DEHIO-Tirol, S. 557 - 558;
P. Alfons Penz OFM, Die Fresken von Schloß Aufenstein in Navis - Die Kirche von St. Kathrein, (Kirchenführer);
Josef Weingartner, Magdalena Hörmann-Weingartner, Die Burgen Tirols - Ein Burgenführer durch Nord-, Ost- und Südtirol, Innsbruck 1981;
Georg Clam Martinic, Österreichisches Burgenlexikon - Schlösser, Burgen und Ruinen, St. Pölten 1992;


Burg Aufenstein und St. Kathrein
Von Architekt Paul Molajoni, 1938

So wie die Erbauungszeit etlicher Schlösser des Inntales nur annähernd nach den noch bestehenden Mauerungen und Kunstwerken bestimmt werden konnte, erweist sich auch an dem uns erhaltenen Sachbestand des Schlosses Aufenstein die Möglichkeit, eine beiläufige Bauzeit festzusetzen. Und zwar nicht nur die Mauerung an und für sich bildet ein Element zur Beurteilung des Baues, sondern auch seine durch den Erbauer gewählte topografische Lage am Eingang in das Navistal, nicht ferne der unweit gelegenen Feste Matrei des seit vorgeschichtlicher Zeit bewohnten Wipptales.

Während aber das Schloß zu Matrei in das frühe Mittelalter zurückreicht und bereits als eine Fortsetzung der römischen Statio "Matreium" an der Spaltung der beiden Römerstraßen als Wachtstelle her sich gegen Norden entwickelnden Verkehrsrichtung gelten dürfte, läßt Aufenstein als talsperrender Bau des Seitentales auf eine nicht gänzlich unabhängige Entstehung in Beziehung zur Brennerstraße selbst schließen.

Der Brennerstraße entlang wandernd erblickt man auf einer vorspringenden Abstufung des Bergabhanges an der linken Seite des Naviser-Wildbaches das Kirchlein St. Kathrein. Der hinzuführende Weg verbindet es mit den in der Nähe gelegenen Bauernhäusern, worunter einige bereits in das 16. Jahrhundert zurückreichen dürften, so unverändert und echt sehen sie in ihrer alten hölzernen Bauart aus.

Die Kirche St. Kathrein besteht aus zwei Teilen, die sich nach einem Besuch in das Innere leicht unterscheiden lassen: der Bau der eigentlichen Kirche im Barockstil und die alte Schloßkapelle längs der rechten Längsmauer der Barockkirche.

Die alte Schloßkapelle bildet eigentlich den reellen Beweis des mittelalterlichen Schlosses. Man gelangt in sie rechter Hand des Kirchentores nach Besteigung einer Holztreppe, die auch zum Kirchenchor führt. Der Raum der Schloßkapelle so, wie wir ihn heutzutage erblicken, läßt nur an einigen Stellen Spuren des Mittelalters erkennen.

Vor allem erscheinen als bemerkenswert zwei bemalte Fensternischen, mit zwei kleinen länglichen Fenstern aus alten Butzenscheiben, worunter eines ein färbig zusammengestelltes Wappen zeigt.

Dieses Wappen mit blauen Querstreifen und einem gelben Viereck am oberen Rand dürfte jenes der deutschen Freiherrn von "Helphenstein" sein 1), welche bereits um 1130 ihre erste Besiedelung im nahen Zillertale gründeten 2). In welcher Beziehung diese Herren zu Helfenstein zu jenen von Ufenstein gestanden hatten, oder ob dieser letztere Name nicht etwa eine dialektische Änderung des ersteren gewesen wäre, entgeht meiner Beurteilung. In jedem Falle ist die Ähnlichkeit der beiden Namen wert hervorgehoben zu werden. Waren die Helfensteiner aus dem Zillertale in das Navistal übergegangen? Das Wappen allein, obwohl aus etwas späterer Zeit, könnte den Schlüssel dazu bieten. Nach Meinung des Dr. H. Schuler, Abt des Wiltauer Stiftes, entstand die Benennung Ufenstein oder "Uvenstein" aus dem altdeutschen Worte "Ufe", d. h. Eule; daher auch die Eule im Wappen der Ufensteiner.

Was das Interesse unseres Kunstsinnes insbesondere weckt, das sind die bemalten Seitenwände der Fensternischen. Die linke zeigt echte Freskenmalerei des 14. Jahrhunderts: die Färbung und Gruppierung der proportionierten Köpfe, die sich von der grünlich-blauen zur rötlichen Nuance fast nach Art eines südländischen Meisters nicht ohne gotischen Einfluß dekorativ und lebhaft ausnehmen, dürfte wohl ein Beispiel solcher Technik in Nordtirol darstellen. Zwar erscheint die gesamte Bemalung dieser Fensternische stark nachgeblaßt, wie auch die Figur an der linken Ecke der Schloßkapelle; nach genauerer Betrachtung dieses Bildnisses könnte man mit Sicherheit einen Heiligen im Gewande der Dominikaner erkennen, vielleicht eine Darstellung des Heiligen Dominicus. An der entgegengesetzten Ecke läßt eine Spalte in der Bemörtelung die lebhafte Karminfärbung eines alten Wandgemäldes erkennen; was aber die Figur des Mönches besonders auffallen läßt, das ist ihre außerordentliche Größe, die von der Decke bis zum Boden reicht. Man darf daher vermuten, daß der gegenwärtige Holzboden erst in späterer Zeit an der halben Höhe der alten Schloßkapelle eingebaut wurde. Für diese Annahme spricht auch der unterhalb der Kapelle eingerichtete Schulraum, der hinter seiner eingebauten Holztäfelung noch zahlreiche alte Wandgemälde aufweist. Weiters spricht dafür ein romanisch-gotisches Kirchenfenster an der südlichen Mauer der Schloßkapelle und noch mehr eine im Jahre 1514 datierte darstellungsreiche Bemalung der zweiten kleinen Fensternische, welche erst infolge des erwähnten Bodens zustande kommen konnte. Die Wandbemalungen dieser letzteren sind an beiden Seiten religiöser Art: links eine Madonna mit der symbolischen Darstellung des Einhornes, rechts der Verkündigungs-Engel.

Fensternische Aufenstein, Schlosskapelle, www.SAGEN.at

Die bemalte Fensternische in der Schloßkapelle zu St. Kathrein

Es fällt dabei die vorwiegend gelbliche Färbung der Landschaft und die gepinselte, strichmäßige Kontur der gesamten Darstellung als zeitdeutende Charakteristik des Kunstwerkes auf. Das in der Mitte oberhalb des Fensters angegebene Datum "1514" und die umrahmenden dekorativen Engelsköpfchen könnte als spätere Ergänzung einer schon bestandenen mittelalterlichen Bemalung aufgefaßt werden. Die zahlreichen lateinischen Aufschriften und die in der Perspektive mangelhaften Architekturen lassen einen eher schwachen Künstler des 15. Jahrhunderts erkennen. Irrtümlich scheint darin der bekannte Kunsthistoriker Hammer eine Arbeit des Jahres 1624 erkennen zu wollen. Obwohl der noch ziemlich gut erhaltene Bestand des Wandgemäldes solche Annahme begründen möchte, handelt es sich insbesondere an der rechten Seite, wo ein blasender Engel einen in gotischen Buchstaben gemalten deutschen Text bekannt gibt, um eine Arbeit aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts. Der durch Dr. Hammer irrtümlich festgestellten Ziffer 6 entspricht nach genauerem Urteil der römische Buchstabe D oder Zahl 500, so daß man in einer Abwechslung gotischer und römischer Buchstaben die bereits undeutlich lesbare Jahreszahl "1D14" zu lesen bekommt: also 1514.

Übrigens läßt eine genauere Beobachtung der Wandmalerei an der rechten Fensternische eine ändernde Restaurierung der Originaldarstellung erkennen. Man beobachte nur die ornamentale Textrolle, die sich in Windungen aus dem Jagdhorn des Engels entrollt. Sie zeigt eine deutsche Aufschrift, worin das Wort "treu" noch gut lesbar erscheint. Es folgt spiralförmig eine lateinische Aufschrift späterer Zeit. Diese letztere beweist nicht nur eine vernachlässigtere Ausführung, sondern auch einen geänderten Kunststil. Desgleichen wäre in der linken Wandmalerei eine Restaurierung des 16. Jahrhunderts zu vermuten.

Und wie es in der Schloßkapelle an reichhaltiger Vertretung der Malkunst nicht mangelte, dürfte es wahrscheinlich auch an dekorativer Bildhauerei nicht gefehlt haben. Erwähnenswert erscheint die bekannte Holzfiguren-Gruppe "Maria Verkündigung", die sich derzeit in der kunsthistorischen Sammlung in Matrei befindet. Es sind zwei gotisch stilisierte übermalene Holzstatuen, die Jungfrau und den Verkündigungsengel darstellend, die in ihrer linearen Einfachheit unbeeinflußten Charakters originell wirken.

Und nicht diese beiden Figuren allein dürften die skulpturellen Kunstwerke der romantischen Schloßkapelle gebildet haben, Zeit und Schicksalsänderungen trugen gewiß dazu bei, daß manches vom einstigen Kirchenschmuck anderswo untergebracht wurde.

Als echt mittelalterliches Schloß knüpft "Uvenstein" die Geschichte seiner Ritterschaft an die kaiserlichen Kreuzzüge mittelst einer Legende, die die Entstehung der Kirche zu Matrei erklärt:

Es war das Jahr 1210 3), Ritter Heinrich Uvenstein wanderte zu den heiligen Stätten des gelobten Landes. Nach Verschiedenen Erlebnissen dort angelangt, erblickte er alsbald in der soeben betretenen Kirche "zum Hlg. Grabe" eine sehr alte hölzerne Statue des Erlösers "zu unserem Herrn im Elend" genannt. Das Alter und der religiöse Wert des Bildwerkes veranlaßten den Ritter, es in Holz nachfertigen zu lassen, so daß er eine getreue Kopie des verehrten Kunstwerkes mit sich in die Heimat nehmen konnte. In der Pfarrkirche zu Matrei ließ er sodann die Statue zur allgemeinen Verehrung feierlich aufstellen. Doch plötzlich ließ ein Gegner Heinrichs, ein Ritter der damals noch bestehenden Feste Raspenbühel, die hochverehrte Statue des Nachts in den nahen Sill-Bach werfen, so daß sie bereits für immer den Augen der Gläubigen entzogen schien. Doch wie groß war das Staunen der am nächsten Tag in die Kirche eintretenden Gläubigen, als sie die Statue wiederum an der vorherigen Stelle wahrnahmen! - Was aber eine allgemeine Bewunderung der frommen Kirchenbesucher erregte, steigerte im Gegenteil den Zorn des heidnischen Ritters von Raspenbühel, und zwar so, daß er noch dreimal, aber doch immer erfolglos, denselben Entfernungsversuch an der wunderbaren Statue wiederholte. Erst die außergewöhnliche Genesung seiner damals zu Tod erkrankten Gemahlin und die Geburt eines sehnlich erwarteten Kindes bekehrten den gottlosen Raspenbüheler zur huldigenden Verehrung der Statue "unseres Herrn im Elend", wie sie heute noch in der Matreier Kirche zu sehen ist.

Wie aber meistens Legenden und Sagen auf einem geschichtlichen Vorgang beruhen, kann auch diese Legende des Heinrich zu Aufenstein auf eine wirtliche Begebenheit zurückgehen.

Nach Meinung des bekannten Kunsthistorikers Dr. Weingartner, wäre die zur Zeit in der Matreier Pfarrkirche aufgestellte Holzstatue eine Kopie aus dem Beginn des 15. Jahrhunderts. Allerdings dürfte diese Statue oder eine ähnliche zur Zeit der Aufensteiner schon bestanden haben, da eine ähnliche Darstellung Christi in den Wandmalereien im Raume unter der gegenwärtigen Schloßkapelle hinter der Wandtäfelung des sogenannten Schulraumes deutlich erkennbar ist. Nach Entfernung der bestehenden Täfelung wird es erst möglich sein, den eigentlich ältesten und bedeutendsten Teil der Wandmalerei der alten mittelalterlichen Kapelle zu Gesicht zu bekommen. Die einfache und .doch deutliche Linienführung, die man an den männlichen wie weiblichen Gruppen wahrnimmt, die einheitliche Färbung der Gewänder und der Gesichtszüge lassen als Entstehungszeit die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts feststellen 4). Es handelt sich offenbar um eine deutsche Kunst, die für jene Zeit unter den Ruinen der tirolischen Schlösser als einzigartiges Beispiel erscheint. Wohl wäre es Zeit, diesem vergessenen Kunstschatz etwas mehr Aufmerksamkeit zu widmen, um nach einer sorgfältigen Säuberung und Restaurierung das Ganze in die rechte Stelle der nationalen Kunstdenkmäler einreihen zu können. Die Unterbringung der gegenwärtigen Schule außerhalb der alten Schloßkapelle, die Entfernung der Überstrukturen sowie die Wiederherstellung des mittelalterlichen Milieus durch Aufstellung der Holzskulpturen der Matreier Kunstsammlung 5), könnten diese kleine Kunststätte wieder zur vollen Geltung bringen; und zwar nicht nur zum Nutzen ländlicher Traditionen, sondern auch zur Sicherstellung gefährdeter Kulturbeweise des historischen Wipptales selbst. Und so wie bei jeder kleineren oder größeren Kulturstätte des Mittelalters die Kunst ein Zeichen des Wohlstandes war, dürfte diese auch bei den Aufensteinern eine Periode innerer Ordnung und Macht gekennzeichnet haben.

Mit Zunahme ihrer vom Schlosse aus geübten Herrschaft kam dem Geschlechte der Aufensteiner auch alsbald die Gerichtsbarkeit zu 6). Natürlich konnte sich eine solche nicht ohne Rücksicht auf das nahe gelegene ältere Gericht der "Matreier Pfarre" entfalten.

Eine Urkunde des Stiftes Wilten aus dem Jahre 1274 nennt einen "Hainricus, miles de Ovenstein" als Richter neben den oberinntalischen Böllenbergern. Derselbe Heinrich von Aufenstein erschien auch im Jahre 1271 nächst einem Heinrich von Matrei in den Aufträgen des Grafen Meinhard II. von Tirol, worin ihm die Beschützung des Stiftes Georgenberg ausgetragen wird. So erfolgte alsbald die Übertragung des Landrichteramtes der Herren von Matrei an die Aufensteiner, deren Ansitz zum namengebenden Gerichtsschlosse wurde. Schloß Aufenstein kann also ähnlich den Schlössern Sonnenburg und Böllenberg 7) als ehemaliges Gerichtsschloß bezeichnet werden.

Infolge dieser zunehmenden Machtlage der Aufensteiner dehnte sich das ihnen unterworfene Gebiet mehr und mehr aus: So wurde das "Gericht in Matreier Pfarre" im Jahre 1307 durch Herzog Otto von Kärnten-Tirol ein echtes Lehen der Aufensteiner. Es scheint das die wirkliche Glanzperiode des kleinen Schlosses gewesen zu sein. Erst gegen Mitte des 14. Jahrhunderts naht der Untergang des angesehenen Rittergeschlechtes. Das Auftreten eines neuen Landesfürsten sollte das Schicksal des Schlosses gänzlich ändern. Im Jahre 1335 verliert ein Konrad von Aufenstein durch den ihm feindlich gesinnten Fürsten Johann von Luxemburg das Stammschloß. Mit dem Verlust der Gerichtsmacht endete alsbald das ritterliche Geschlecht, dessen Güter in die Hände der Herren von Katzenstein übergingen 8).

Nach Auflösung des Gerichtes zu Aufenstein begann die neue Benennung "Gericht Steinach", welch letzteres nach den Katzensteinern auf die Herren von Trautson, von Freundsberg und sodann auf die von Schneeberg überging, während sich auf den Ruinen des Schlosses die neu gewidmete Kirche St. Kathrein gestaltete. Dort, wo heute noch der alte Schloßweg zwischen Matrei und Steinach knapp nach der Sillbrücke an der Brennerstraße endet, erblickt man heute noch eine altehrwürdige Bildsäule, die an eine dort verunglückte Afra v. Villanders zu Aufenstein erinnert. Die an den vier Seiten der Gedenksäule vor einigen Jahren neu gemalten religiösen Darstellungen lassen keine Restaurierung der Originalmalereien erkennen; vielleicht war durch zu arge Beschädigung und Verwitterung eine Herstellung derselben bereits unmöglich geworden. An der Straßenseite liest man allerdings noch folgende nachgemalte Aufschrift:

Bildstock Puigg bei Steinach, www.SAGEN.at

Bildstock zu Puig bei Steinach

Anno MCCCCLXVIII am Sanct Lucersentag ist die nobl edel gebohrne Frau Affra v. Villanders Witib zu Aufenstein geb. Trautsonin bei die Brugen mit dem Pferd gefallen und gestorben.
Der Gott gnedig sey.

Das darf nach aller Wahrscheinlichkeit als letzter erhaltener Beweis von dem Dasein der Aufensteiner gelten.

Bei fortschreitendem Verfall des Schlosses wurde nur mehr die Instandhaltung der Kapelle gepflegt. Allerdings hat man sich bisher noch nicht die Ursache der Widmung der Schloßkapelle an die Heilige Katharina zu erklären vermocht. Nach genauer Beurteilung des gegenwärtigen Bestandes des Kirchenbaues läßt sich nur vermuten, daß das Patrozinium der Heiligen Katharina auf eine Verwechslung zurückzuführen sei.

Der einzigen in der Kirche über dem Arcosolium aufgemalten Angabe "1718 erbaut" entspricht nur das Längsschiff mit Barockierung der Apsis, da die poligonale äußere Mauerung dieser letzteren sowie der bescheidene Glockenturm in das 16. Jahrhundert zurückdeuten. Es dürfte also vor jener Zeit die turmmäßige Schloßkapelle samt einigen Mauerresten allein gestanden haben 9). Da nun zu Beginn des 16. Jahrhundertes die Restaurierung der Bildnisse an der rechten Fensternische erfolgte, läßt sich eine besondere Verehrung zu jener Darstellung voraussetzen. Daß die Darstellung Mariens im "Hortus Conclusus" 10) neben dem Einhorn (Symbol der Jungfräulichkeit) mit der Heiligen Katharina von Siena verwechselt werden konnte, dürfte einiger Wahrscheinlichkeit entsprechen. Bei genauer Ansicht der von Türmen und Toren architektonisch versehenen Umfassungsmauer erkennt man annähernd die Aufschrift "Porta Arezzo". Sehr wahrscheinlich vergaß der restaurierende Künstler die mittelalterliche Bedeutung des Bildnisses selbst und vielleicht von der schon damals bestandenen Benennung zur Heiligen Katharina angeleitet, oder den in der Malerei von Mauern umschlossenen Raum mit der Stadt Siena verwechselnd, fügte er am südlichen Eingangstar jene Qualifizierung hinzu. Übrigens entspricht der Zeit der Heiligen Katharina jenes an der linken Wand schwach hervortretende Bildnis eines Dominikanermönches; und wohl kaum ohne jede Ursache und ohne jede vorhergehende Tradition dürfte die Widmung zu jener Heiligen gewählt worden sein.

Mit dieser meiner Meinung möchte ich natürlich keine unbestreitbare Behauptung geäußert haben.

Burg Aufenstein, St. Kathrein, Navis, Tirol,www.SAGEN.at

Grundriss von St. Kathrein zu Aufenstein
Skizze 1/200 Arch. Paul Molajani, Lans in Tirol

Ein weiterer Beweis für das Alter der Kapelle könnte aber noch folgende in jener Gegend verbreitete Bauernsage sein:

"Einst lebten zu Aufenstein drei Brüder, die wegen ihrer Raubsucht und maßlosen Kühnheit allerseits bekannt waren. Sie überfielen, töteten und beraubten die an der Brennerstraße vorbeiziehenden Reisenden, bedrängten und quälten die Bauern der Umgebung, lebten gottlos und verwegen. Ihr übelster Brauch war jedoch, in der Schloßkapelle wiederholt zu zechen und zu spielen. Oft hatte sie schon der Priester gemahnt, von solcher Lästerung abzulassen, doch immer vergebens. Eines Morgens, als der Geistliche bei der Messe während der Wandlung den Kelch betend emporhob, saßen die drei Burschen in Begleitung anderer wiederum in der Kapelle und spielten Karten. Als eben einer die Karten zum Spiel mischen wollte, mahnte ihn einer der anwesenden Betenden, das frevelhafte Spiel nicht weiterhin fortzusetzen: ,Christl - sagte er - thua nit mischn, der Herr wandelt! - Doch schien diese Mahnung umsonst, denn auch in jenem feierlichsten Augenblicke wollten die drei gottlosen Ritter ihr lästerndes Spiel fortsetzen. Da erschien plötzlich der Teufel in lebendiger Gestalt, raffte sie aus der Kapelle hinaus, schleuderte sie außerhalb derselben gegen die steinerne Kapellenmauer und warf ihre Leichname in die Tiefe der Schlucht des Naviser-Baches. Noch heute sind die Blutspuren an jener Stelle der Schloßmauer sichtbar 11)."

Tatsächlich sind an der Westseite der Schloßkapelle, dort wo der Abhang steil nach der Schlucht absinkt, zwei Meter zirka oberhalb des Erdbodens zwei etwas karmin-gefleckte Steine an der Mauerung des turmähnlichen Kapellenbaues erkennbar. Außerhalb der Schloßkapelle selbst mag von der Aufensteinischen Burg wohl wenig erhalten geblieben sein. Westwärts derselben schließt sich die südliche Gartenmauer des jetzigen Vogelsberger Hofes an. In derselben ist südwärts ein Teil des alten Schloßgemäuers erkennbar; eine spätere Ergänzung des Gemäuers an der westlichen Ecke gestaltete die gegenwärtige Gartenumsäumung. Die alte Mauer besteht aus gerundetem Erosionsgestein. Ferner ist noch an der Ostseite, knapp am Waldesrand außerhalb des Kirchenbaues, das isolierte Bruchstück einer begrenzenden Stützmauer zu erkennen; diese dürfte seinerzeit am alten Schloßbau geendet haben. (Siehe die Skizze.)

Bezüglich der unmittelbaren Umgebung St, Kathreins fällt im Alter und Baustil nur der sogenannte Bauernhof "beim Rassen" auf. Ein kleines Fenster mit poligonalen Butzenscheiben sowie der massive Baustil des Holzbaues, der in der kleinen Dimension der Fenster hohes Alter verrät, lassen auf eine Beziehung zum Schloßbau schließen. Im Vergleich zu dem neben der Kirche erbauten Vogelsberger Hof erscheint dieser älter und schwerer gebaut.

Das almenmäßige Gepräge der Gegend und eine unveränderte vererbte bauliche Tradition, die sich seit Jahrhunderten rein bewahrt hat, machen aus jener Gegend einen Lieblingsort aller Freunde originellen Volkstums.

1) Nach "Siebmacher, Wappenbuch" 1712.
2) Nach Otto Stolz, Polit.-Hist. Landesbeschreibung.
3) Nach Jacob Staffler. Sehr wahrscheinlich handelt es sich aber um die Erwähnung einer Beteiligung am Kreuzzuge Friedrichs II. im Jahre 1228.
4) Nach H. Hochenegg "Die Kirchen Tirols" wurde die Schloßkapelle 1331 geweiht. D. Schr.
5) Auch Sammlung des Dr. Friedrich Steiner genannt.
6) Etliche Angaben der Gerichtsbarkeiten aus der "Polit. Landesbeschreibung" des Otto Stolz.
7) Siehe vom Verfasser "Tiroler Heimatblätter" Nr. 3, 12. 1936.
8) Näheres über die Aufensteiner siehe im Aufsatz "Die Bedeutung des Wipptals in der deutschen Geschichte" von Dr. H. Holzmann in diesem Hefte!
9) Nach H. Hochenegg fällt die älteste Erwähnung der Kirche in das Jahr 1474. D. Schr.
10) Nach Msgr. Dr. Weingartner.
11) Nach Angabe der Bauern auf dem Vogelsberger-Hof, dem Bauernhaus, das dem Kirchlein fast gegenüber liegt und auf Mauerresten des alten Schlosses erbaut sein dürfte.

Quelle: Architekt Paul Molajoni, Burg Aufenstein und St. Kathrein, in: Tiroler Heimatblätter 16. Jahrgang, Heft 11/12, 1938, S. 331 - 338.